Darf ein Mensch entscheiden, wann und wie er stirbt? Wer darf ihm dabei helfen: Angehörige, Ärzte?

Wie berichtet, kippte das deutsche Verfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe, weil dieses dem Recht jedes Menschen „auf selbstbestimmtes Sterben“ entgegenstehe. In Österreich sind „Tötung auf Verlangen“ laut Paragraf 77 des Strafgesetzbuchs und auch „Mitwirkung am Selbstmord“ laut Paragraf 78 verboten und werden mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet. Beim Verfassungsgerichtshof liegt seit Mai 2019 ein Antrag vor, der diese Paragrafen kippen soll. Die Verfassungsrichter werden sich allerdings frühestens in ihrer nächsten Session im Juni damit beschäftigen, sagt VfGH-Sprecherin Cornelia Mayrbäurl.

Antrag liegt seit Mai 2019 beim VfGH

Eingebracht hat den Antrag Wolfram Proksch. Der Wiener Anwalt kritisiert im Gespräch mit der Kleinen Zeitung, dass hierzulande selbst der Kauf einer Zugkarte für einen schwerkranken Freitodwilligen in ein Land, in dem aktive Sterbehilfe erlaubt ist, unter Strafe stehe.

Es sind vier Personen, die Wolfram Proksch vertritt:

  • Erstantragsteller ist ein junger Burgenländer, der an Multipler Sklerose leidet. Er ist ein absoluter Pflegefall und rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen.
  • Der Zweitantragsteller ist ein hochbetagter Mann, der eine Parkinsonerkrankung hat, aber geistig sehr fit ist und „so lange wie möglich leben möchte. Aber er hat seine Frau, die jahrelang an Alzheimer litt, bis zu deren Tode gepflegt. Er selbst möchte kein solcher Pflegefall werden“, sagt Proksch.
  • Mandant drei ist ein Mann, der seiner Frau, die an einem äußerst schmerzhaften Bauchfellkarzinom litt, auf deren Wunsch einen Revolver besorgt hat. Die Frau hatte noch vor ihrem Tod die Staatsanwaltschaft über ihr Vorhaben informiert. Ihr Mann wurde zu zehn Monaten bedingter Haft verurteilt.
  • Mandant vier ist ein Mediziner, der bereit wäre, Sterbehilfe vorzunehmen. „Es geht um das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Wir führen das Verfahren mit dem menschenrechtliche Ansatz“, sagt Proksch.

"Büchse der Pandora"

Der Präsident des Katholischen Familienverbandes, Alfred Trendl, sieht das Thema Sterbehilfe komplett anders: „Mit einer Lockerung der österreichischen Gesetze oder mit der Erlaubnis zum assistierten Suizid öffnen wir die Büchse der Pandora“, sagt er zur Kleinen Zeitung.

Das Urteil des deutschen Verfassungsgerichtshofs überrasche Trendl sehr, nicht zuletzt nach der Vergangenheit, die Deutschland in Bezug auf Euthanasie habe.  Das Recht eines Menschen darauf, dass ihm ein anderer beim Sterben helfe, sei fatal, der gefährliche Punkt sei die „gewerbsmäßige Sterbehilfe. Ein Geschäft draus machen, heißt das auf Deutsch.“ Das wünsche er sich nicht für Österreich. Trendl ortet eine weitere Gefahr der „Ökonomisierung“ eines Menschenlebens. Österreich habe einen sehr guten Weg, der charakterisiert sei durch den Ausspruch, der Kardinal König zugeordnet wird: „An der Hand, aber nicht durch die Hand eines anderen das Leben verlassen.“ Letztlich gehe es um die Frage: Was ist das Leben wert?

"Nebelkerze"

Der Schweizer Palliativmediziner Gian Domenico Borasio, der mit „Über das Sterben“ einen internationalen Bestseller landete, nennt das Thema Sterbehilfe „eine Nebelkerze“, wie er kürzlich im „Tagesspiegel“ erklärte. Sie lenke von wichtigeren Punkten ab, die zu klären wären: eine flächendeckende palliative Versorgung und mehr Personal in der Alten- und Krankenpflege.