Sollten Sie Kommissionspräsident werden, wo wollen Sie den Hebel ansetzen?

MANFRED WEBER: Erstens, wir müssen mehr Sicherheit garantieren. Das heißt für mich vor allem Außengrenzschutz und verstärkter Anti-Terrorkampf. Zweitens: Wir müssen den Wohlstand sichern. Da geht es um Handelspolitik, Innovation, um den Schutz vor strategischen Übernahmen. Und dann will ich uns Europäern auch mit Projekten das Gefühl geben will, dass wir zu Großem in der Lage sind. Ich habe bei meiner Bewerbungsrede gesagt, dass wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine Antwort auf Krebs geben könnten. Wenn wir die Ressourcen auf dem Kontinent, die Gelder, das wissenschaftliche Know-How, die Datenbanken bündeln, sagen mir die Wissenschaftler, ist es technisch möglich, eine Antwort auf Krebs zu geben.

Beim Thema Sicherheit gab es zuletzt um den Ausbau von Frontex größere Differenzen. Wann könnte diese Aufstockung realistischerweise kommen?

Was die Innenminister beschlossen haben, eine Frontex-Aufstockung erst bis 2025, ist so nicht akzeptabel. Ich finde das Ziel der Staats- und Regierungschefs mit 2020 richtig. Die Aufgabe eines Kommissionspräsidenten wäre es, in so einer Rolle die Koordinierung besser in die Hand zu nehmen, auch einmal bei den Innenministern aufzutauchen und zu sagen: „Kollegen, bei den Chefs haben wir Folgendes beschlossen. Warum wird das so nicht umgesetzt?

Muss sich ein Kommissionspräsident künftig stärker einbringen als bisher?

Der Kommissionspräsident ist kein Sekretär des Europäischen Rates. Er ist der gewählte Exekutivvertreter, quasi der Regierungschef Europas. Zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union besteht die Chance, dass ein gewählter Abgeordneter Kommissionschef wird. Was man aus den nationalen Parlamenten als etwas ganz Selbstverständliches sieht.

Sie sind gegen eine Aufnahme der Türkei. Wie können Sie so sicher sein, dass die Staats- und Regierungschefs dem zustimmen?

Natürlich ist es rein formal so, dass die Beitrittsgespräche durch den Rat beendet werden. Ich werde aber einen Vorschlag machen. Ich würde dabei mit einem Mandat durch die Wähler argumentieren. Wenn es dafür eine Mehrheit bei der Wahl gibt, dann haben das auch die Staats- und Regierungschefs ernst zu nehmen. Die Türkei-Frage ist eine europäisch-kontinentale Frage, die bei der Europawahl entschieden werden muss.

Manfred Weber im Gespräch mit den Redakteuren der Bundesländer-Zeitungen, links neben ihm Michael Jungwirth von der Kleinen Zeitung
Manfred Weber im Gespräch mit den Redakteuren der Bundesländer-Zeitungen, links neben ihm Michael Jungwirth von der Kleinen Zeitung © OÖN / Johannes Zinner

Werden Sie sich auch um die Unterstützung der rechtspopulistischen, nationalistischen Parteien bemühen?

Nein. Ich trete an, um die EVP zur deutlich stärksten Fraktion im Europäischen Parlament zu machen und Europa in eine neue Phase zu führen. Dafür braucht man Partner, die sich klar zum Projekt bekennen. Deshalb kommt es auf die Partnerschaft zwischen den klar proeuropäischen Fraktionen an. Das sind vor allem die Gründungsväter dieser Union, die Sozialdemokraten, die Liberalen und die Christdemokratie.

In Österreich koaliert ihre Schwesterpartei relativ problemlos mit der FPÖ. Was halten Sie denn von der FPÖ?

Ich werde nicht die FPÖ kommentieren. Wir treten als EVP für unsere Positionen ein und wir werden auch keinen Wahlkampf gegen jemanden machen. Die Regierungsarbeit, die hier in Österreich unter Führung von Sebastian Kurz gemacht wird, ist eine, die Europa gestalten will. Die Ratspräsidentschaft hat ein starkes Ergebnis abgeliefert.

Aber müssen Sie die FPÖ im europäischen Kontext als eine dieser nationalistischen Parteien, vor denen Sie ja warnen, nicht schon auch bewerten?

Die FPÖ zeigt verschiedene Gesichter in Österreich und in Europa.

Sie wissen um die Pläne dieser Parteien, nach Brexit und EU-Wahl eine stärkere, größere Fraktion zu vereinen. Stellt sich dann nicht womöglich die Frage: Einbinden statt ausgrenzen?

Ich kämpfe für eine Koalition der klar proeuropäischen Kräfte. Sebastian Kurz und ich haben die zentrale Frage der Stärkung der außenpolitischen Stimme Europas gerade in Wien dargestellt. Wir sind ein ökonomischer Gigant, aber ein politischer Zwerg. In Syrien spielt Europa bei den laufenden Verhandlungen keine Rolle: Weder Macron, Merkel oder Juncker sitzt dort am Tisch. Nur Trump, Putin, Erdogan und der Iran. Obwohl es vor unserer Haustür ist und die Flüchtlingsströme zu uns kamen. Das zeigt, dass wir da stärker werden müssen. Da kann man nur mit Partnern arbeiten, die mitgehen wollen.

Europapolitisch ist die FPÖ also kein Partner?

Ich erlebe zwei Gesichter der FPÖ: Ich erlebe die Minister, die im letzten halben Jahr Gesetzesarbeit erledigt, ganz normal Europa weiterentwickelt haben. Und dann erlebe ich Gesichter, die Europa verächtlich machen.

Gibt es für Sie Unterschiede zwischen FPÖ und der AfD in Deutschland?

Jedes Land hat seine eigene politische Kultur, aber die AfD ist mit der FPÖ nicht vergleichbar. Ich erlebe, dass der Kern der Rechtspopulisten und auch der Rechtsradikalen, wenn Sie die AfD ansprechen, nicht zum Kompromiss auf europäischer Ebene in der Lage ist. Die AfD ist für den Dexit, sie marschiert mit Rechtsextremen Seit' an Seit'.

Wo sind für Sie die roten Linien für eine Zusammenarbeit? Viktor Orbans Fidesz geht ja für die EVP noch.

Diejenigen, die Europa weiter positiv auf Basis europäischer Werte mitgestalten wollen, sind unsere Partner. Das ist unser Maßstab. Ich möchte drauf verweisen, dass ich und die Kollegen der ÖVP im Europäischen Parlament für das Artikel 7 Verfahren (Rechtsstaatsverfahren, Anm.) über Ungarn gestimmt haben. Es gibt für uns keinen Rabatt in Sachen Grundrechte. Ich will sogar einen Schritt weiter gehen. Ich spreche mich für die Einführung eines unabhängigen Rechtsstaatsmechanismus in Europa aus, der auch Sanktionen bei den Fördermitteln einschließt. Wir wissen, dass der Artikel 7, weil er am Schluss die Einstimmigkeit voraussetzt, nur eine schwache Methode ist, die Rechtsstaatlichkeit einzufordern. Deshalb müssen wir das überdenken.

Wer legt die Regeln dafür fest?

Da sind wir gerade in Diskussion. Entscheidend ist, dass das keine Aufgabe von Parteipolitikern sein kann ist, zu bewerten. Die finale Entscheidung sollte immer in der Hand von unabhängigen Richtern sein.

Othmar Karas hat es als Fehler bezeichnet, die Fidesz-Partei von Orban nicht aus der EVP ausgeschlossen zu haben. Ihr Urteil ist da milder. Was übersieht Karas?

Othmar Karas beobachtet genauso besorgt wie ich manche Entwicklungen. Ich glaube allerdings, dass wir trotzdem im Gespräch bleiben müssen, um den Kontinent zwischen Ost und West zusammenzuhalten. Wir haben da zu viele Spaltungen zwischen Visegrad, auch Rumänien, und dem so genannten alten westlichen Europa. Das darf so nicht sein. Europa darf sich nicht spalten, sonst verspielen wir unsere Zukunft. Deswegen muss ein Kommissionspräsident im Dialog bleiben.

Sie haben gesagt, die FPÖ hat zwei Gesichter. Gilt das nicht auch für die ÖVP, das Gesicht Kurz und das Gesicht Karas?

Nein, das sehe ich nicht so. Wir sind eine große, breite Volkspartei. Da gibt es Kräfte, die vielleicht in Europa drängender voranmarschieren als andere. Entscheidend ist, dass wir als Volkspartei diese Diskussionen führen und immer die Brücke bauen. Das macht uns aus. Ich bin sicher, dass das Paket mit Karas und mit Karoline Edtstadler, die ein klares Signal in Richtung Sicherheitsfragen und Migration abgibt, und den weiteren Kandidaten wirklich für die Breite der Neuen Volkspartei und der EVP steht.

Wenn Sie in Österreich wahlberechtigt wären, könnten Sie ja Vorzugsstimmen auf der ÖVP-Liste vergeben: Würden Sie Karas oder Edtstadler wählen?

Wenn ich in Österreich wahlberechtigt wäre, dann würde ich hoffentlich auf der Liste stehen.

Die Frage haben Sie damit nicht beantwortet.

Die Frage ist hypothetisch.

Wie geht es mit dem Brexit weiter?

Wir haben einen von 28 Regierungen und drei europäischen Institutionen verhandelten fairen Vertrag auf dem Tisch liegen. Das ist ein ganz ausbalanciertes Konstrukt. Ich kann nur sagen, jeder, der das aufmachen wollte, muss akzeptieren, dass dann alle Themen wieder aufgemacht werden können. Deswegen bin ich dezidiert der Meinung, dass der Vertrag nicht aufgemacht werden darf. Unser Problem ist aber nicht dieser Vertrag. Was mich ein Stück weit frustriert, ist, dass es im britischen Unterhaus keine Mehrheit gibt, die uns sagen kann, wie man sich die Langfristbeziehung zur EU vorstellt. Ich sage: Kommt endlich mit einer klaren Position.

Wird es am 29. März zum Austritt kommen?

Ich hoffe, dass wir am 29. März Klarheit haben. Ich will nach der Europawahl nicht mehr über die Vergangenheit reden. Klar ist, dass unsere Tür für Großbritannien immer offen bleibt.

Theresa May sucht gerade ihren Plan B. Haben Sie einen falls Sie doch nicht Kommissionspräsident werden?

Mit diesem Szenario beschäftige ich mich nicht.