Douzheng. Kampf. Gezählte 56 Mal tauchte das Wort auf in der großen Rede des „Überragenden Führers“ an der Parteischule im September 2019; sie war gerichtet an die Nachwuchskader von Chinas Kommunistischer Partei. Es gibt Auftritte, die prägen sich ein. Xi Jinpings Ansprache ist so einer. Kein Staatschef seit Maos schmerzhafter Kulturrevolution hatte den Begriff so häufig verwendet wie Xi, und wer es bis dahin nicht begriffen hatte, musste spätestens beim 56. Mal erkennen: Xi läutet eine neue Ära ein. Douzheng ist der Kampf gegen Herausforderungen; im China von heute ist es ein Kampf gegen Feinde – im Inneren der Partei und des Landes, und auch im Außen.

„Die Stärke verstecken und auf den richtigen Augenblick warten“, lautete noch die Maxime des Pragmatikers Deng Xiaoping in den 80er Jahren. Doch mit Zurückhaltung hat China unter Xi nichts mehr am Hut. Der Anführer der zur Weltmacht aufgestiegenen Volksrepublik steht für einen selbstbewussten und aggressiven Kurs – er legt sich an mit dem Platzhirsch im globalen Ringen: In Washington sprechen viele bereits von einem zweiten, einem neuen „Kalten Krieg“; in Peking sieht man das kaum anders.

Fehdehandschuh

Den Fehdehandschuh hatte Xi den Amerikanern schon zwei Jahre zuvor, auf dem 19. Parteitag, mit der Verkündung seines „chinesischen Traums“ zugeworfen: „Ins Zentrum der Weltbühne“ solle das Reich der Mitte rücken. Mächtigste Militärmacht, Weltfußballmacht, Anführer im Kampf gegen den Klimawandel solle China werden.

Wie einst „der große Steuermann“ Mao Zedong hat Xi alle Macht an sich gerissen: 2018 ließ er die Amtszeitbegrenzung des Präsidenten aufheben und ermöglichte sich seine Regierungsgewalt auf Lebenszeit. Nach innen bedeutete seine Kampfansage die Drohung an Kritiker, sich hinter ihm und dem Diktat der Partei zu scharen. Durchgesetzt wird dies heute durch eine starke digitale Überwachung der Bevölkerung und die brutale Repression und Umerziehung von Minderheiten wie den Uiguren. Staat und Partei haben ihren Einfluss und Kontrolle wieder zum grundlegenden Prinzip gemacht.

Wein oder Gewehre

In der Außenpolitik geraten unter Xi praktisch alle Nachbarn unter Druck. Am Beispiel Hongkong, dem Peking entgegen bestehender Verträge sein Sicherheitsgesetz und seine Order aufzwingt, stellte es erst jüngst unter Beweis, dass es wenig Wert darauf legt, seine Stärke und Ansprüche zu verbergen. Mit seinem wirtschaftlichen Gewicht und nicht zuletzt dem Seidenstraßen-Projekt setzt Peking zum Sprung an, der Weltordnung eine chinesische Prägung zu geben. Seine Forderung nach „Harmonie“ und „Respekt“ gegenüber China wird wohl nicht zu Unrecht von vielen als Aufruf zur Unterwerfung verstanden. „Für unsere Freunde haben wir feinen Wein, für unsere Feinde Gewehre“, ließ sich der chinesische Botschafter in Stockholm vernehmen.

Ideologisch erleben Marx und Konfuzius ein staatlich verordnetes Revival; die kapitalistisch-autoritäre Realität könnte davon ferner nicht sein. Vom alten Klischee, China kupfere einfach nur von anderen ab, ist nichts geblieben. Zwischen 2007 und 2017 hat China seine Ausgaben für Forschung und Entwicklung um jährlich durchschnittliche 17 Prozent gesteigert. Die USA kamen im selben Zeitraum auf nur 4,3 Prozent. Innovation statt Imitation lautet das Motto. Bei der Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen und der neuen Patentanmeldungen ging es steil bergauf. Im Bereich der digitalen Innovationen zählt China zu den weltweit führenden Nationen. Die USA, Heimat von Apple und Microsoft, beobachten die Entwicklung mit Argus-Augen.

Datengetriebene Planwirtschaft

Zugleich helfen Big Data, Künstliche Intelligenz und Gesichtserkennung bei der Überwachung der Bevölkerung. Die Bürger werden mit einem Punktesystem in ihrem Verhalten bewertet. Im Systemwettbewerb mit den westlichen Demokratien hat Peking bewiesen, dass es auch eine autoritäre Staatsmacht, die Planwirtschaft mit marktwirtschaftlichen Elementen verbindet, mithilfe moderner Technologie und datengetrieben an die Spitze schafft.

Im Ringen der Weltmächte werben beide Kontrahenten um Verbündete und Einfluss. In der Corona-Krise werden die Karten neu gemischt. Die chinesische Regierung inszenierte sich mit der Lieferung von Masken und Schutzausrichtung als wohlwollender Helfer in der Not – gerade auch in europäischen Staaten, wo darum gestritten wird, wie weit man chinesische Technologie-Riesen wie Huawei, denen Washington Spionage vorwirft, ins Land lassen will.

Vertuschung

Stand Peking anfangs noch wegen der Vertuschung der Virus-Krise unter Druck, sind die Zahlen derzeit vergleichsweise niedrig – während die USA schwer geschlagen hohe Infektionszahlen und einen Rekordeinbruch der Konjunktur vermelden.

Die US-Regierung, die bisher mehr Verachtung als Interesse für Zusammenarbeit mit europäischen Partnern zeigte, wirbt indes um eine Koalition zur Eindämmung des Machtanspruchs aus dem Reich der Mitte.
Europas China-Politik beruhte lange auf der Annahme, China werde sich durch Partnerschaft allmählich öffnen. Doch die Devise „Wandel durch Handel“ ist gescheitert. Ob sich Chinas Erfolge bei Innovation und Forschung aufrechterhalten lassen, wenn freies Denken unerwünscht ist, bleibt abzuwarten; der Ausgang des Systemwettbewerbs offen. Die freie Welt wird sich rasch einstellen müssen auf eine chinesische Supermacht auf Konfrontations-Kurs.