Herr Cheng, die Gruppe Demosisto war über die letzten Jahre ein Garant für den Kampf um Demokratie in Hongkong. Sie ist maßgeblich dafür verantwortlich gewesen, dass Millionen Menschen auf den Straßen protestierten. Jetzt haben Sie sich aufgelöst. Warum?
Isaac Cheng: Wir haben im Führungsgremium viel diskutiert. Einige von uns haben sich entschlossen, den Kampf aufzugeben. Andere wollen weitermachen. Klar ist, dass diejenigen, die nicht aufgeben wollen, neue Formen des Widerstands finden müssen. Wir können uns jetzt nicht mehr offiziell als Opposition treffen. Damit würden wir alle in Gefahr bringen.

Der Nationale Volkskongress in Peking hat ein Sicherheitsgesetz für Hongkong verabschiedet. "Separatismus" und "Aufruhr", also Opposition gegen die Regierung, ist damit strafbar geworden.
Cheng: Freiheiten, die in Hongkong bisher galten, sind uns genommen. Seit Hongkong 1997 von Großbritannien an China übergeben wurde, galt "ein Land, zwei Systeme": In Hongkong müssen Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit weiter gelten. Aber die Regierung in Peking setzt sich einfach darüber hinweg. Jetzt dürfen Menschen in Hongkong, die von der Polizei befragt werden, nicht mehr die Aussage verweigern. Es gibt keine Begrenzung mehr, wie lange eine Person in Gewahrsam genommen werden darf. "Im Zweifel für den Angeklagten" gilt nicht mehr, der Angeklagte hat die Beweislast für seine Unschuld. Wer in Hongkong für oppositionelle Tätigkeiten festgenommen wird, kann vor ein Gericht in Festlandchina geladen werden.



Gegen all dies hat Ihre Bewegung, die vor allem aus jungen Menschen besteht, seit Jahren Oppositionsarbeit geleistet. Sahen Sie das, was jetzt da ist, auch im Detail schon lange kommen?
Cheng: Was uns überrascht hat, war das schnelle Tempo, die Intransparenz und die Dreistigkeit, mit der die Sache jetzt durchgezogen wurde. Die von Peking eingesetzte Hongkonger Stadtregierung hat über Jahre versucht, Hongkong quasi den chinesischen Gesetzen unterzuordnen. Aber die Opposition der Bevölkerung war sehr stark. Jetzt nahm einfach der Kongress in Peking die Sache in die Hand. Erst zwei Wochen im Voraus hat man davon erfahren, als chinesische Staatsmedien berichteten. Und der genaue Inhalt des Gesetzes kam erst mit dessen Verabschiedung raus. Es gilt aber mit sofortiger Wirkung.

In Hongkong besteht jetzt also ein Gesetz, das die Mehrheit derer, die es anwenden, noch kaum kennt.
Cheng: So ist es. Niemand hatte Zeit, sich vorzubereiten. Vieles ist unklar. Man muss jetzt befürchten, dass man für Aktionen, die vorher legal waren, jetzt hohe Strafen erhält. Weil man kaum weiß, wie das Gesetz angewandt wird. Es schließt im Prinzip sogar Menschen im Ausland mit ein, die bei der Ankunft in Hongkong festgenommen werden könnten. Für alles, was die chinesische Regierung für staatsfeindlich hält, kann man lange ins Gefängnis kommen.

Wie geht es mit pekingkritischen Politikern weiter, die in das Stadtparlament gewählt wurden?
Cheng: Die haben Post erhalten: Darin werden sie aufgefordert, ihre Treue zum Sicherheitsgesetz zu beschwören. Wer verweigert, kann sein Mandat verlieren. Kritische Stimmen sollen nirgendwo mehr Platz haben.

In Festlandchina ist das „Social-Credit“-System etabliert worden, nach dem die Regierung Informationen über die Bürger sammelt, diese bewertet und davon abhängig womöglich unterschiedlich behandelt. Das könnte nun auch auf Hongkong zukommen.
Cheng: Die Hongkonger Regierung hat behauptet, dass das nicht geschehen wird. Aber es sind auch schon Dokumente erschienen, nach denen der Einsatz des Systems noch 2020 geplant ist. Über die letzten Jahre wurden in Hongkong viele Kameras an öffentlichen Plätzen installiert.

Personen wie Sie werden wohl mit Minuspunkten starten. Sie wurden mehrfach inhaftiert.
Cheng: Meine Punktzahl wird schlecht sein, ja. Aber wir werden uns für das einsetzen, was richtig ist. Wir werden neue Formen des Widerstands finden.

Die britische Regierung hat Hongkonger Bürgern angeboten, nach Großbritannien zu ziehen - auch für Sie eine echte Option?
Kein Hongkonger wird sich leicht damit tun, seine Heimat zu verlassen. Aber für viele von uns mag es die beste Wahl sein, weil ein Umzug Sicherheit garantieren würde. Auf mich trifft das nicht zu. Ich bin 1999 geboren worden. Die britische Regierung hat das Angebot nur an Personen gemacht, die vor der Übergabe Hongkongs an China 1997 zur Welt gekommen sind.