Die spanische Regierung hat im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie die Schließung aller "nicht lebenswichtigen" Unternehmen für zwei Wochen angeordnet. Dies teilte Regierungschef Pedro Sanchez am Samstagabend in Madrid mit. Eine ähnliche Regelung gilt auch im ebenfalls hart getroffenen Italien. Die Lage in Spanien wird immer verheerender.

Plastiksäcke und Särge

Szenenwechsel: Mehrere Transporter fahren hintereinander in die Tiefgarage des Eissportpalastes Madrid. In der Kabine der roten Fahrzeuge sieht man Männer in weißen Schutzanzügen. Es sind Soldaten der spanischen Katastrophenschutzeinheit UME. Sie bringen Plastiksäcke und Särge mit Epidemie-Opfern.

„Die Leichen stapeln sich in Krankenhäusern und Altenheimen“, berichtet ein Sprecher der Bestattungsbranche. Wegen Überfüllung der Depots wurde deswegen der Madrider Sportpalast mit seiner Olympia-Eispiste zum Zwischenlager umfunktioniert – die größte Leichenhalle der Nation.

Vom Traum zum Albtraum

Offiziell trägt das Eislauf- und Einkaufszentrum im Nordosten Madrids den Namen „Dreams“, Träume. Nun wird dieser Traumpalast zum Symbol von Spaniens schlimmstem Albtraum, der noch lange nicht beendet ist: Denn die Virus-Epidemie breitet sich in Spanien noch schneller aus, als dies in Italien der Fall war.

Jeden Tag sterben derzeit allein im Großraum Madrid annähernd 350 Menschen im Zusammenhang mit dem Virus Sars-CoV-2. Die Hauptstadtregion, in der knapp sieben Millionen Menschen leben, ist Spaniens gefährlichste Virus-Risikozone. Rund die Hälfte aller Toten in Spanien wird in Madrid registriert.

Kein beruhigendes Gefühl. Man hört von Todesdramen im Bekanntenkreis. Und von Familien, die am liebsten aus der Stadt fliehen würden. Nur die Ausgangssperre verhindert, dass Tausende Hauptstadtbewohner in ihrer Ferienwohnung an der Küste Zuflucht suchen.

Bis zum Samstag meldeten die Behörden allein in der Region Madrid 21.500 Infizierte. Rund 3000 Menschen starben bisher in Madrid – zwei Drittel der Opfer waren älter als 80.

Die statistische Sterblichkeitsquote in der Hauptstadt lässt vielen Bewohnern das Blut in den Adern gefrieren: Sie liegt, wenigstens auf den ersten Blick, mit weit über zehn Prozent noch deutlich höher als in der italienischen Lombardei oder der chinesischen Provinz Hubei.

Aber die Statistik hinkt: Denn Spaniens Corona-Statistik zählt nur die schweren Infektionen, die einen Krankenhausaufenthalt erfordern, was Schätzungen zufolge etwa bei 20 Prozent der Erkrankten der Fall ist. Zehntausende Verdachtsfälle, bei denen die Patienten leichte Symptome hatten, werden nicht erfasst. Mit der Folge, dass die prozentuale Sterblichkeitsquote in die Höhe katapultiert wird.

Für ganz Spanien wurden am Samstag insgesamt 72.250 Infektionsfälle gemeldet – rund 8200 mehr als am Vortag. Die Zahl der Toten stieg spanienweit auf 8000 an. Damit meldet Spanien, wie zuvor bereits Italien, mehr Tote als in den letzten Wochen in China registriert wurden.

Wobei die amtlichen Zahlen der Länder nicht durchweg vergleichbar sind – alles hängt von der Zählweise, der Menge der durchgeführten Tests und auch von der Informationspolitik ab. Im Falle Spaniens vermuten Experten, dass die wahre Infektionszahl wenigstens fünf bis zehn Mal höher ist als offiziell angegeben.

Desaströser Pflege- und Gesundheitssektor

Derweil mehrt sich die Kritik an den Behörden. Ihnen wird vorgeworfen, den Pflege- und Gesundheitssektor nicht ausreichend auf die Corona-Epidemie vorbereitet zu haben. Spitäler und Altenheime klagen seit Wochen, dass es an Ausrüstung und Testkits mangle. Krankenschwestern berichten, dass sie sich Schutzkittel aus Mülltüten selber basteln müssen.

„Wir werden ohne Waffen in den Krieg geschickt“, klagt ein Arzt im TV, das pausenlos von der Virus-Front berichtet. Es fehle an allem: an Mund-Nase-Masken, virusresistenten Kitteln, Schutzbrillen. Für die mit der Lungenkrankheit Covid-19 eingelieferten Patienten gibt es in den überfüllten Hospitälern nicht genügend Beatmungsgeräte. Mit der Folge, dass die Regeln der Katastrophenmedizin gelten. „Wenn du mehrere Notfallpatienten, aber nur eine Beatmungsmaschine hast, bekommt der Kranke mit der besseren Prognose den Vorrang.“

Keine Schutzausrüstung

Der Mangel an Schutzausrüstung hat verheerende Konsequenzen: Immer mehr Hospitalmitarbeiter infizieren sich. Sie machen bereits 15 Prozent aller Virus-Erkrankten aus. Die Hospitäler werden zum Sicherheitsrisiko.

„Es gab bei den Behörden keine Vorsorge“, empört sich El País, die größte nationale Zeitung. Und das Blatt ABC überschreibt einen vernichtenden Kommentar mit dem Titel: „Sorglosigkeit und logistisches Chaos.“