Und dann war plötzlich Stille. Irgendwo zwischen dem Botanischen Garten in der Bronx und der Suburb von Westchester verliert sich die Stadt. Die Häuserschluchten Manhattans und die Backsteinbauten Brooklyns verschwinden im Rückspiegel, Grün drängt sich in den Vordergrund. Nach dem New Croton Reservoir fahren wir vom Parkway ab, bleiben an einer Tankstelle stehen. Keine Sirenen, kein Hupen, kein Rauschen der U-Bahn, die unter unserer Wohnung in Clinton Hill im Minutentakt verkehrt. Nur Stille, an die sich die Ohren des Städters gewöhnen müssen.

Ein Bild aus besseren Tagen: US-Korrespondent Franz-Stefan Gady in New York

Die Stunden davor waren hektisch. Hamsterkäufe endeten vor leeren Supermarktregalen. Ums Eck konnte meine Frau noch ein Desinfektionsmittel ergattern um das Zehnfache des normalen Preises. Die Kassiererin aus Puerto Rico meinte, das wäre alles nicht so schlimm, sie hätte schon mehrere Epidemien hinter sich. Auf der Straße treffe ich meinen Barbier Frank. Sein Salon ist seit Tagen geschlossen. Er erzählt, dass seine Freundin, die bei einer reichen Familie arbeitet, Putzsachen und Toilettenpapier im Wert von 7000 Dollar in Empfang nehmen musste – und Pistolenmunition.

Der Entschluss, New York City zu verlassen, fiel, als ich erfuhr, dass ein Lazarettschiff der Navy nach Manhattan beordert wurde. Das Militär ist eine der wenigen staatlichen Institutionen, die in der Bevölkerung hohes Ansehen genießen. Streitkräfte, abgesehen von der Nationalgarde, im Inland einzusetzen, ist ein Tabu. Das war für mich ein wichtiges Indiz für den Ernst der Lage.

Der größte Unterschied zu Europa in Krisenzeiten ist, dass Amerikaner wenig Hilfe vom Staat erwarten, vielmehr sehen sie die Behörden oft als Teil des Problems. Diese Abneigung offenbart sich in der Skepsis gegenüber einem staatlichen Gesundheitssystem. Washington und das Weiße Haus werden kaum registriert. Selbst der Kampf des als Krisenmanagers hochgelobten Gouverneurs von New York, Andrew Cuomo, um Beatmungsgeräte ist Nebensache. Es dominiert der Individualismus, was aber nicht unbedingt die gesellschaftliche Solidarität untergräbt. Sofort nach unserer Ankunft in Germantown, einem kleinen Ort im Hudson-Tal zwei Stunden nördlich von New York, hat sich meine Frau einer lokalen Gruppe für Nachbarschaftshilfe angeschlossen.

Das System funktioniert. Aber das Gefälle zwischen Arm und Reich ist hier viel ausgeprägter. Das Coronavirus offenbart ein brutales Abbild der Ungleichheit unserer Gesellschaft. Wir wohnen im Haus eines Freundes, der in Österreich festsitzt. Die Abneigung der lokalen Bevölkerung gegenüber den Stadtflüchtlingen ist spürbar. Mein Mietauto hat ein Kennzeichen aus Florida, das reicht, um mich als Fremden zu klassifizieren. Skeptische Blicke schlagen mir entgegen.
Ich frage mich, wie lange man diese Distanz zum Staat wahren kann, wenn sich die Krise verschlimmert. Die Krankenhäuser in der Stadt sind überlastet, und auch die Kapazitäten auf dem Land erschöpfen sich. Die viel gepriesene Selbsthilfe wird bald an ihre Grenzen stoßen.