Dutzende Staats- und Regierungschefs, darunter Bundespräsident Alexander Van der Bellen, haben am Donnerstag in Israel der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz vor 75 Jahren gedacht und ein Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt. Frank-Walter Steinmeier hielt als erstes deutsches Staatsoberhaupt in Yad Vashem eine historische Rede. Die USA und Israel riefen zum Widerstand gegen den Iran auf.

Israels Präsident Reuven Rivlin dankte bei dem internationalen Holocaust-Forum in der nationalen Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem den Staatsgästen aus fast 50 Ländern für die Solidarität mit dem jüdischen Volk. "Antisemitismus hört nicht bei den Juden auf", sagte der 80-jährige Rivlin in seiner Rede. "Antisemitismus und Rassismus sind bösartige Krankheiten, die Gesellschaften von innen zerstören." Auch andere Redner wie der russische Präsident Wladimir Putin und der französische Präsident Emmanuel Macron warnten vor dem Wiederaufleben des Antisemitismus.

Eine Premiere war die Rede des deutschen Bundespräsidenten. In seiner in Englisch gehaltenen Ansprache erinnerte er an die große historische Schuld seines Landes und warnte vor neuem Hass und neuer Hetze. "Ich wünschte, sagen zu können: Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt", sagte Steinmeier. "Aber das kann ich nicht sagen, wenn Hass und Hetze sich ausbreiten." Das Erinnern habe die Deutschen nicht "gegen das Böse immun" gemacht. "Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand", mahnte er.

Bundespräsident Van der Bellen erinnert daran, dass Österreich "Mitverantwortung an der Shoah" trage. "Österreicherinnen und Österreicher waren Täterinnen und Täter, teils an führender Stelle. Zehntausende Österreicherinnen, vor allem Jüdinnen und Juden, aber auch Roma und Sinti, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, politisch Verfolgte, Widerstandskämpfer und Deserteure waren Opfer und wurden von den Nationalsozialisten ermordet", so Van der Bellen in einer Stellungnahme.

"Dem Andenken der Opfer der Shoah werden wir nur gerecht, wenn wir dafür sorgen, dass Menschenverachtung, Sündenbockdenken und Gewalt niemals wieder als politisches Instrument eingesetzt werden", mahnte Van der Bellen, denn die Menschenwürde sei unteilbar.

Auch die Präsidenten der EU-Kommission, des EU-Parlaments und des Europäischen Rates betonten am Donnerstag die anhaltende Bedeutung der Erinnerung an den Holocaust. Ursula von der Leyen, David Sassoli und Charles Michel sprachen in einer gemeinsamen Erklärung in Jerusalem von einer "europäische Tragödie" und einem "Wendepunkt in unserer Geschichte".

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu nutzte seine Rede um zum Widerstand gegen den Iran aufzurufen, den er als "antisemitischsten Staat der Welt" bezeichnete. "Wir werden keinen weiteren Holocaust zulassen", sagte er. Die Lektion des Holocaust sei: "Wir nehmen die Bedrohungen derjenigen, die uns vernichten wollen, ernst."

Unterstützung bekam Netanyahu von US-Vizepräsident Mike Pence: Die Welt müsse sich "stark" zeigen gegenüber dem Iran, der Israel "von der Weltkarte verschwinden lassen" wolle. Den israelischen Gastgebern versicherte Pence, dass die Freundschaft der USA "in die Ewigkeit" reichen werde.

Für Israel war das Welt-Holocaust-Forum das größte Zusammentreffen von Staats- und Regierungschefs seit der Staatsgründung. Zum Schutz der Großveranstaltung mobilisierte Israel 10.000 Polizisten - ein Drittel seines landesweiten Polizeipersonals.

Überschattet wurde die Veranstaltung von der Absage von Polens Präsident Andrzej Duda. Er reiste aus Protest nicht an, weil er anders als der russische Präsident Putin nicht als Redner vorgesehen war. Zwischen Polen und Russland gibt es derzeit diplomatische Spannungen wegen Putins Behauptung, Polen trage eine Mitschuld am Beginn des Zweiten Weltkrieges. Polen wirft ihm vor, die Geschichte im Widerspruch zu historischen Fakten umzudeuten. Rivlin rief dazu auf, politischen Streit über die Bewertung der Geschichte zu vermeiden: "Die historische Forschung sollte den Historikern überlassen werden."

Putin ging in seiner Rede in Jerusalem nur nebenbei auf den Streit um die Geschichte ein. "Heute wird das Thema politisiert, das ist unmöglich", sagte er. Die Nazis hätten in den besetzten Ländern einheimische Kollaborateure gehabt - "Helfer der Nazis, die oftmals grausamer waren als die Nazis". Direkte Vorwürfe gegen Polen erhob Putin aber nicht.

Mit Blick auf die aktuellen Krisen plädierte Putin für ein Gipfeltreffen der Staatschefs der ständigen UNO-Sicherheitsratsmitglieder plädiert. Diese fünf Staaten - Russland, die USA, Frankreich, Großbritannien und China - hätten eine "besondere Verantwortung für die Rettung der Zivilisation" und spielten "eine große Rolle bei der Suche nach gemeinsamen Antworten auf gegenwärtige Herausforderungen".

Am kommenden Montag, dem 27. Jänner, jährt sich zum 75. Mal die Befreiung des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz im von Hitler-Deutschland besetzten Polen. Auschwitz-Birkenau gilt weltweit als Symbol für den Holocaust. Nach Schätzungen wurden dort mehr als eine Million Menschen ermordet, zumeist Juden.