Im Moment rumort es gehörig auf fast allen Ebenen unserer Gesellschaft. Wirtschaftlich, politisch und psychisch wird vielen Menschen viel zugemutet, manchen weit mehr, als sie ertragen können. Beeindruckend negativ sind die Sonderberichte und Schlagzeilen dieser Tage. Der deutsche Innenminister formuliert seine Sorge, dass die Virusmutation aus Tirol „zu uns rüberschwappt“, wie er sich ausdrückte, und suggeriert damit Dreck und Schmuddelei jenseits deutscher Grenzen, wofür er auch von der „Süddeutschen Zeitung“ entsprechend gescholten wurde.

In Österreich beeindrucken die in allen Medien breit ausgeschlachteten Rücktrittsforderungen, Sondersitzungen und gegenseitigen Verdächtigungen hin und her gebeutelter politisch Verantwortlicher, deren Politik sich momentan so ausnimmt, „als wäre nichts gewesen“. Im Blick auf all das hat es ein jährlich wiederkehrender Aschermittwoch schwer, sich Gehör zu verschaffen. Was sollten wir denn auch nach den Entbehrungen der letzten zwölf Monate noch alles voneinander verlangen? Fühlt sich nicht ohnehin das gesamte vergangene Jahr wie eine weltweit verordnete Fastenzeit an!?

Trotzdem lohnt es sich, statt schwarzzumalen, nach vorne zu schauen und mit allem zu rechnen, auch mit dem Guten! Die Neurobiologen nennen eine solche Haltung „Kohärenzwiederherstellungskompetenz“ und meinen damit einfach nur: Statt gekränkt darüber zu sein, dass das Leben im Moment die Erwartungen nicht erfüllt, darauf gespannt zu bleiben, was uns kraft der in jedem Menschen schlummernden Fantasie einfällt, diese Zeit so zu gestalten und zu erleben, dass wir später einmal im Blick zurück „erntedankbar“ werden sagen können: „Wer hätte damals an all das gedacht, was uns da miteinander alles eingefallen ist, wie wir diese Krise gemeinsam bewältigt haben! Und es zeigen sich ja jetzt schon neben den zu Recht beklagten Kollateralschäden an vielen Stellen Kollateralnutzen. Von vielen Menschen weiß ich, dass sie in dieser Zeit Nachbarschaft neu entdeckt haben. „Vielleicht“, vermutete jemand, „sind wir in dieser Zeit sogar bessere Menschen geworden!?“

Fasten als die Kunst, die Welt mit anderen Augen zu sehen, hieße, das Kostbarste, was ein Mensch hat – seine Erlebnisse – als sein Paradies zu erkennen, aus dem ihn niemand vertreiben kann; die dabei gemachten Erfahrungen auch als die Basis seines Vertrauens zu begreifen, weil er es in jedem Moment seines Lebens in der Hand hat, darüber zu entscheiden, welchen Stellenwert er diesen seinen Erfahrungen einräumt. Wer nämlich Erfahrungen „macht“, wie wir sagen, erfährt dabei ja nicht nur, was an ihm geschieht, sondern immer auch das, was er daraus „macht“. Das Entscheidende dabei ist seine von ihm entwickelte Fantasie; mit ihr gelingt es ihm, sich in der Kunst zu üben, persönliche Erfahrungen so zu deuten, dass ihm daraus Neugier, Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen erwachsen. Gleichzeitig verabreicht er sich damit einen neurobiologisch getesteten verlässlichen Impfstoff gegen Misstrauen, Angst, Enttäuschung und Wut, wie wir sie im Moment in hohem Maße in unserer Gesellschaft erleben. So würde für ihn die Fantasie zum gediegenen „gewusst wie“, zur Fähigkeit, aus den ausgetretenen Pfaden alter Denk- und Handlungsmuster auszusteigen und neue Wege zu gehen. Der Charme und die Kraft der Fantasie bestehen in ihrer Unerschöpflichkeit beim Erfinden besserer Wege!

Angesichts der momentanen Krise entwickeln viele Menschen eine eigenartige Nostalgie. Sie erinnern sich an das, was vor einem Jahr (noch) war, was sie damals (noch) „gehabt“ haben und jetzt nicht mehr haben können. Und ängstlich schauen sie nach vorne und fragen sich, ob sie das, was sie einmal gehabt haben, später wieder werden „haben“ können!?



Schon Erich Fromm warnt in seinem Alterswerk „Haben oder Sein?“ (1975) davor, unsere Lebenspraxis so sehr am alleinigen Haben-Wollen festzumachen, dass uns beim Wort „Vermögen“ nur „Bares als Wahres“ einfällt und so das wahre Vermögen des Menschen überlagert wird, seine in ihm schlummernden seelischen Eigenkräfte der Liebe, der Vernunft und des produktiven Tuns. Anstatt also sich ängstlich zu fragen, ob er das, was er gehabt hat, auch später wieder haben kann, könnte der Mensch sich fragen, wie viel von dem, was er hat, er auch tatsächlich braucht, und wozu er im Guten fähig ist! Dazu drei homöopathisch dosierte Gedanken, deren Wirksamkeit auch zum Ende der Fastenzeit garantiert noch zu gebrauchen ist:

  • Achte auf deine Gedanken!
    Bei einem am 19. Februar 2020 vom Herrn Bundespräsidenten ihm zu Ehren gestalteten Abendessen in der Wiener Hofburg hielt Peter Handke eine bemerkenswerte Tischrede. Darin versuchte er seine Landsleute zu einem „fruchtbaren Größenwahn“ zu überreden, dazu, das Land, seine Menschen und sich selbst darin groß zu denken. Obwohl wir samt und sonders fragliche Gestalten seien, so Handke, wäre es doch „gewaltig, was wir sind“. Großes Denken ist genauso ansteckend wie kleinkariertes Denken. Großes Denken aber macht weit und froh, während kleinkariertes Denken uns erwiesenermaßen schneller altern lässt! Gute Gedanken schaffen in uns Frieden und innere Ruhe. – Gefühle des Grolls untergraben das Glück, den Erfolg und die Gesundheit.
  • Achte auf deine Worte!
    Selbst in den dunkelsten Stunden seines Lebens hatte Viktor Frankl nie aufgehört daran zu glauben, dass das Leben „unter allen Umständen Sinn“ hat und dass diese unsere Welt zwar „nicht heil, aber heil-bar“ ist. Wer im Moment Zeitungen liest und Nachrichten hört, muss lange suchen, bis er Spuren dieser Heilbarkeit findet. Im Spannungsfeld von Pandemiebekämpfung, Korruptionsverdacht, Abschiebedrama und einem damit verbundenen Koalitionskrach erleben wir eklatante Reibungsverluste auf vielen Ebenen, verbunden mit einer unheilvollen Verrohung der Sprache. Schon zur Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends warnt Konfuzius: „Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das Gesagte nicht das Gemeinte. Wenn das, was gesagt wird, nicht stimmt, dann stimmen die Werke nicht. Gedeihen die Werke nicht, so verderben Sitten und Künste. Darum achte man darauf, dass die Worte stimmen. Das ist das Wichtigste von allem.“
  • Bei allem, was du tust, denk an das Ende!
    Ohne Zweifel hat uns diesmal schon lange vor dem Aschermittwoch das Coronavirus Asche aufs Haupt gestreut und uns in einer weltweiten Neuinszenierung des „Jedermann“ die Zerbrechlichkeit unseres Lebens vor Augen geführt. Das bedeutet aber noch nicht, dass wir dadurch mit Tod, Krankheit und dem Älterwerden im Alltag besser zurechtkämen; wenn es nur irgendwie geht, lassen wir uns unser „Fest der Unsterblichkeit auf Zeit“ (Georges T. Roos) nicht stören. Aber es lohnt sich, bei allem, was wir tun, an das Ende zu denken! So jedenfalls lehrt es der biblische Weisheitslehrer Jesus Sirach (7,6). Der bewusste Blick auf das Ende lässt uns „abschiedlich“ leben, lässt Krisen und Schwierigkeiten nicht ewig dauern und bewahrt nicht zuletzt vor dem Übermut glücklicher Tage. Das mag wohl auch, wie die Legende berichtet, einen mächtigen Menschen dazu bewogen haben, alle Weisen des Landes zu versammeln und sich von ihnen einen Gegenstand zu wünschen, der ihn glücklich macht, wenn er traurig ist und der ihn traurig macht, wenn er glücklich ist. Zu guter Letzt überreichen sie ihm einen Ring, in den die Worte eingraviert sind: „Auch das wird vergehen.“