Der Tag war echt heftig. Von der Titelseite blieb nur das große, hochformatige Foto übrig, Sebastian Kurz von hinten im Gehen, als Kulisse ein langer, schmaler Gang mit goldenen Stuckaturen. Der Adventkranz, auf dem für die Abschiedspressekonferenz eine Kerze entzündet wurde, war nicht im Bild. Die Kerze wurde nach dem Abgang des gefallenen Idols wieder ausgelöscht. Aus dem lieblichen Nachmittagstitel "Abschied mit 35" wurde am Abend "Republik im Umbruch". Da war das türkise Abbruchwerk schon in vollem Gange. Im Stundentakt sagte einer, es war mir eine Ehre. Wir zogen das Bild ganz nach oben und opferten den roten Querbalken, wie wir das immer tun, wenn die Tage heftig sind. Kurzzeitig war auch das Zitat "Ich bin weder ein Heiliger noch ein Verbrecher" als Einser-Schlagzeile hoch im Kurs, aber es war dann eher ein Stundenaufmacher für die Website. Am Abend, als die türkisen Köpfe zu rollen begannen, war er dann schon Geschichte.

Spät nachts, als vom Tag dann nur noch Anneliese Rohrer auf ORF III und ihr Ablästern über Karl Nehammer, den mutmaßlich neuen ÖVP-Chef und Kanzler, übrigblieb, ist mir eine nette Begebenheit aus unserem Konferenzsaal eingefallen. Es war im Sommer, als Grün und Türkis in einem wilden Querfeldein ausströmten, um nach den klaustrophobischen Monaten der Pandemie zu schauen, ob die Bundesländer noch da sind. Die Türkisen haben ausgemacht, es müsse jeden Tag einer in einem Bundesland unterwegs sein. Da war ihre Welt noch im Lot.

Es war der Sommer mit den 99 Prozent für den bedrängten Kanzler. Für 15 Uhr war die grüne Klubchefin Sigrid Maurer angesagt, sie kam spät mit dem Trolley. Wir dachten schon, hoffentlich geht sich das Gespräch aus bis vier, da wollte nämlich Karl Nehammer auf einen Gedankenaustausch vorbeischauen. Er kam ohne Handgepäck, aber mit einer Handvoll Leibwächtern. Das erste Gespräch ging sich nicht in der Zeit aus, Nehammer war leider pünktlich und platzte nichtsahnend herein. Er war sichtlich irritiert über den Gast, nahm dann aber anstandslos neben der Koalitionspartnerin Platz und blieb an ihrer Seite. Zwischen den Beiden entfaltete sich vor den Gastgebern eine auffallend freundschaftliche und lebendige Diskussion in einem amikalen Du, wie das sonst nur der Gustl Wöginger darf. Der soldatische Hardliner und die grüne Moralistin, die das Pragmatische auch draufhat: Wo wir einen explosiven Funkenflug erwarteten, breitete sich koalitionäre Eintracht vor uns aus. Die beiden stießen nach der munteren Debatte sogar miteinander an, wenn die Erinnerung nicht trügt.

Ich will mit der Anekdote nur sagen, dass Karl Nehammer, wenn er heute Vormittag nach dem Parteivorstand der ÖVP in der politischen Akademie von den restaurierten Kurfürsten als neuer Obmann und Kanzler vorgestellt wird, keine inneren Krämpfe bei den Grünen auslösen wird. Die Grünen schätzen den, wie sie neuerdings auch Karoline Edtstadler, die künftige Innenministerin, schätzen. Den Grünen, geboostert mit Selbstbewusstsein, fiel auf, wie subtil sie sich in den vergangenen Wochen von den Loyalitätszwängen emanzipiert habe. Von Neuwahl-Gefahr im Sog des Karussells jedenfalls keine Spur. Wishful thinking der Opposition.

Offen war gestern Abend nur, wer nach Gernot Blümel sonst noch dem türkisen Räumungsverkauf zum Opfer fallen würde. Margarete Schramböck, die Langzeitvermisste, stand ebenso auf der schwarzen Liste, wie auch die Vorsitzende des Loyalitäts- und Unterwerfungsklubs Elisabeth Köstinger. Gestern Nacht war aus der ÖVP, die sich wieder hurtig zurückverwandelt, zu hören, die Unterkärntnerin ringe "um ihr politisches Überleben". Mehr über die schwarz-türkise Häutung heute ab neun, schauen, wer übrigbleibt.

Zuvor muss ich noch das Nina Hagen-Lied, das sich Angela Merkel gestern beim Zapfenstreich zum Abschied gewünscht hat, nachhören. Du hast den Farbfilm vergessen. Heißt so. Ein Song aus der DDR-Jugend der scheidenden Kanzlerin.

Und unsere Abgänger dürfen sich nichts wünschen?

Es war mir eine Ehre,
Hubert Patterer