Es gibt Musik, die begleitet einen durch die Jahre und Jahrzehnte, Zeilen, die stets einen Schritt neben einem gehen, Atmosphären, die einen bergen, beschützen und treiben, Melodien, die mit der Zeit ein Hintergrundrauschen des eigenen Lebens werden. In einem Lied kann man so gut aufgehoben sein, es ist imstande, dem Menschen immer wieder metaphysisches Obdach zu gewähren noch in den verlorensten Augenblicken. Wenn man Glück hat, wachsen die Songs mit mit einem, spiegeln im vorangegangen Jahr eine andere Einzelheit als im darauffolgenden, hallen in einem immer wieder neu nach, rühren nicht nur an bekannte, aber auch an unbekannte Fleckchen des Selbst. So wird man ihrer nie müde, sie werden zu morphischen Gebilden aus Ton, die sich verwandeln, wenn man nur anders auf sie hört. Auf ureigene Art und Weise kann man sich also immer auf sie verlassen.

Ich habe eine kleine, lokale Musikliebesgeschichte, die mir schon lange durch die Jahre und Jahrzehnte folgt und in Grazer Konzertnächten ihren Anfang nahm. Die Band „Son of the Velvet Rat“ war der bröselnde Soundtrack meiner Jugend, der mir auf dem Weg zur Schule in der morgendlichen Dunkelheit im Ohr lag, meine nächtlichen Spaziergänge durch die schlafende Welt unterlegte und später an herrlich aus der Zeit gefallenen Abenden mit einem Übermaß an Wein und Zigaretten lief.

Das Raue und Zarte, die hauchdünne Poesie begleitet mich bis heute, die schlichten englischen Texte vom Warten und Schweigen und Blühen, von den staubigen Gespenstern der eigenen Geschichte, denen man nicht entkommt, Verwandlungen, löchrigen Seelen, alten Vergnügungsparks, Wirklichkeiten mit Lücken, Wunden und Wundern und Whiskey.
Für mich zählen sie zu den schönsten, leisen Liebesliedern, die mir begegnet sind im Laufe der Jahre, denn stets herrscht jenes besondere Licht in ihnen, in dem die Zerbrechlichkeiten des Menschen und die Zerbrechlichkeiten der Welt sichtbar werden, immer zart und immer wild zur gleichen Zeit. Einer Kunst verbunden zu sein, die nicht weit weg und unerreichbar ist, aber durch den unwahrscheinlichen Zufall auch für einen Teil des Jahres in meiner Heimatstadt zu Hause ist, ist eine schöne Begebenheit.

Noch schöner war es, als die mir persönlich unbekannten Künstler sich meine Polaroidfotoarbeiten als Cover und Booklet für ihre neue Platte wünschten. Ich freute mich, und doch war es mir beinahe peinlich, denn Werke ernsthaft zu bewundern ist eine intime Sache, die man selten mit den Schöpfern des so Geschätzten teilt: Fast fühlt man sich ein wenig ertappt. Aber Heike Binder und Georg Altziebler, ein schönes Künstler-Paar wie aus einem Film, auf mondäne Art innig, stylisch und herzlich, fand ich sofort wunderbar, und mit den beiden Whiskey zu trinken und die Stimmen, die ich so viele Jahre aus Lautsprechern kannte, im Gespräch neu kennenzulernen, war selbstverständlich. Die Musik hat mich vom Alleine-Hören also bis ins richtige Leben hinein begleitet. Und wie passend: die Platte heißt „Solitary Company“.