Zu behaupten, dass momentan der Palastsegen schief hängt, wäre die Untertreibung des auslaufenden Jahrzehnts. Elizabeth II. (93) hatte 1992 nach immerhin schon 40 Jahren im Amt vom "Annus Horribilis" des Königshauses (Latein für "schreckliches Jahr") gesprochen: Damals hatte die Ehekrise von Prinz Charles und Prinzessin Diana volle Fahrt aufgenommen, und Windsor Castle war teilweise abgebrannt. Gehörig Feuer am Dach ist freilich auch jetzt: Prinz Andrew, einst galt er ja als Lieblingssohn der betagten Monarchin, ist in eine zutiefst unappetitliche Affäre verstrickt, die an ihm und wohl auch an der Monarchie wie Pech kleben bleiben dürfte.

BBC-Interview als Bumerang

Der mittlerweile verstorbene US-Multimillionär Jeffrey Epstein soll über Jahre Dutzende minderjährige Frauen missbraucht und zur Prostitution gezwungen haben. Bei der Suche nach möglichen Mitwissern und Komplizen rückte rasch Andrew in den medialen Fokus – er war lange mit Epstein befreundet. Vorwürfe der US-Amerikanerin Virginia RobertsGiuffre (35), dass sie von Epstein mehrmals zum Sex mit dem Prinzen genötigt worden sei, sind lauter denn je. Das BBC-Interview, das er vor einigen Wochen gab, war ein Desaster, Grund zur Empörung und vor allem frei von jedem Mitgefühl für die Opfer. Ziel war es wohl, Anschuldigungen zu entkräften ("Ich kann Ihnen absolut kategorisch sagen, dass es nie passiert ist!"). Am Ende steckte der 59-Jährige, ohnehin als Playboy abgestempelte "Randy Andy" ("geiler Andy") noch tiefer im Morast.



Die Königin hatte von seinem Fernsehauftritt gewusst, wie der Buckingham-Palast einräumte. Die Frage, die sich nun viele stellen: Wie konnte man ein derartiges PR-Desaster zulassen? Erst danach die Notbremse: Der gefallene Sohn musste alle offiziellen Ämter für das Königshaus – im Wesentlichen Repräsentationsaufgaben – bis auf Weiteres zurücklegen. Aus den offiziellen Social-Media-Kanälen des Königshauses war Andrew schon früher entfernt worden – die User-Kommentare unter Fotos seiner PR-Auftritte hatten einen überaus eindeutigen Tenor.

Skandale - nicht unbedingt ein Vitamintonikum für die britische Monarchie
Skandale - nicht unbedingt ein Vitamintonikum für die britische Monarchie © (c) APA/AFP/MAFA/STRINGER

Wüstes Windsor: Der Beweis dafür, wie wild es ein Royal mit den falschen Freunden treiben kann, scheint sich vor allem aus aktuellen Interviews des Opfers und einem verhängnisvollen, auf der Rückseite offenbar mit 2001 datierten Foto ableiten zu lassen. Darauf zu sehen: Der Prinz, der seine Hände um die Taille der damals 17-Jährigen legte. "Er weiß, was geschehen ist, ich weiß, was geschehen ist. Aber nur einer von uns erzählt die Wahrheit", erzählte Roberts Giuffre detailreich in einem BBC-Interview. Der 59-Jährige hatte zuvor erklärt, er könne sich an Treffen mit ihr nicht erinnern – das Foto, das offenbar an das FBI übergeben wurde, sei schlichtweg eine Fälschung.

Virginia Roberts Giuffre erhob schwere Vorwürfe
Virginia Roberts Giuffre erhob schwere Vorwürfe © (c) AP (Bebeto Matthews)



Für die Öffentlichkeit bleiben viele Dokumente in Zusammenhang mit der Epstein-Causa weiter unter Verschluss – was die Aufklärung nicht einfacher macht. Laut BBC muss Andrew mit Vorladungen rechnen, sollte er wieder in die USA reisen. Eben dort ließ nun der amtierende Präsident Donald Trump wissen, das Ganze sei "eine heftige, eine sehr heftige Sache", um dann zu betonen, er selbst kenne den Prinzen aber nicht. Wenig später tauchten dann Fotos vom 4. Juni dieses Jahres auf, die ihn in London im Gespräch mit Andrew zeigen. Aus dem Jahr 2000, auf das der "Guardian" stieß und das Trump, seine zukünftige Ehefrau Melania und Andrew gemeinsam in die Kamera lächelnd zeigt. Selektiver Gedächtnisverlust auf beiden Seiten des Ozeans also.

Noch gut in Erinnerung blieb den Briten die Fuhre von Peinlichkeiten, die einst Bruder Charles ablieferte: Als Höhepunkt/Tiefpunkt gilt ein zwischen ihm und seiner Langzeitgeliebten Camilla (siehe Infokasten rechts) mitgeschnittenes Telefonat. Die Öffentlichkeit wurde so wohl oder übel darüber informiert, dass der Prinz liebend gerne der Damen-Hygieneartikel seiner Jugendliebe wäre. Prinz Peinlich lieferte damals einen Skandal, den das Königshaus auch lieber nicht erlebt hätte – kein Vergleich aber zur augenblicklichen Causa.

Die Liste außerehelicher Fehltritte und Ausrutscher, die diversen Vertretern der Windsors über Generationen zugeschrieben werden, ist üppig: Selbst Philip, der heute 98-jährigen Gatte der Königin, soll einst zahlreiche Affären gehabt haben. Bereits kurz nach ihrer Hochzeit im Jahr 1947 (!) wurden erste Gerüchte um angebliche Seitensprünge laut, etwa mit dem damals sehr bekannten Musical-Star Pat Kirkwood.

Andrew mit Bruder Charles auf einer Aufnahme von 2006
Andrew mit Bruder Charles auf einer Aufnahme von 2006 © (c) APA/AFP/POOL/DAVID BEBBER

Eine neue Dimension

Der aktuelle Skandal hat eine andere Dimension. Werden Vorwürfe wie diese laut, stellt die britische Öffentlichkeit und der danach lechzende Boulevard sehr rasch Fragen nach der Existenzberechtigung der Königsfamilie: Wie und warum sollte man zu den Windsors aufschauen, wenn einzelne Vertreter dieser Familie nicht einmal eine moralische Basisausstattung aufweisen? Skandale wie diese sind konzentriertes Gift, das der Monarchie wie Säure zusetzt. "Es war ein katastrophales Jahr. Die britische Monarchie macht sehr schwierige Zeiten durch", hielt etwa Royals-Expertin Penny Junor fest.

Mit Andrew, aktuell ohnehin nur aussichtsloser Achter in der britischen Thronfolge, dürfte jedenfalls kein Staat mehr zu machen sein. Dass Charles, so er einmal Monarch wird, die Zahl der Repräsentanten des Königshauses reduzieren will, wie oft verlautet wird, dürfte im richtigen Moment kommen.