Nur um keinen Zweifel aufkommen zu lassen. Hier geht es um harte Arbeit. „Es raucht, und es ist staubig“, sagt Joachim Lindbergh, fügt aber gleich hinzu: „Es macht trotzdem enorm viel Spaß.“

Lindbergh spricht nicht von der schweren Schufterei im staubigen Bergwerk oder am rauchenden Hochofen. Seine Profession ist das Kaffeerösten. Und zwar mit Leidenschaft. Das wird schnell klar, wenn man mit Lindbergh über Kaffee spricht. Dann knackt es in seinen Schilderungen oder es knistert. „Beim ersten Crack platzt die Bohne auf und wird größer. Beim zweiten Crack geht’s um die inneren Strukturen der Bohne“, schildert der Experte den Röstvorgang und hat für den Ungeübten einen kleinen Tipp parat: „Den ersten Crack hört man richtig krachen, beim zweiten ist es eher ein Knistern.“ Es kommt beim Rösten also auch auf ein feines Gehör an.

Die Röstmaschine

Lindberghs Röstofen steht in Gleisdorf bei Graz. Er selbst wohnt mit seiner Frau und den beiden Kindern seit sechs Jahren in Berlin. Einmal im Monat geht’s zum Rösten nach Österreich. Anfangs legte er die Strecke mit dem Auto zurück, seit vier Jahren mit dem Zug. „Da bleibt unendlich viel Zeit, etwa zum Lesen. Ich kann das wirklich genießen.“ Dem Mann geht’s wirklich ums Entschleunigen. Lindbergh, 53, ist in Graz geboren und in der Weststeiermark aufgewachsen. In Graz, Wien und Roskilde hat er Anglistik und Skandinavistik studiert. Und ist dabei irgendwann auf die Bohne gekommen. „Ich bin im Studium viel gereist. Durch Kanada, die USA, Australien und Neuseeland. Und hab’ irgendwann gemerkt: Die machen einfach einen verdammt guten Kaffee.“

Vom Coffeshop-Betreiber zum Kaffeeröster

Den verdammt guten Kaffee wollte Lindbergh gern nach Österreich bringen. Wien hat zwar das Kaffeehaus. Aber da geht es mehr um die Gesellschaft als um das Gewächs. „Im Kaffeehaus sitzen Leute, die allein sein wollen, dazu aber Gesellschaft brauchen“, notierte schon Alfred Polgar in seiner „Theorie des Café Central“. Lindbergh ging es eher um etwas anderes, um einen würdigen Ort zu Ehren der Kaffeebohne. Ganz so wie der mexikanische Filmemacher Luis Buñuel. Der, nach eigenen Worten „Katholik und Atheist“, erhob in seinem Buch „Mein letzter Seufzer“ das Trinken eines Martinis nahezu zum Sakrament. Und so setzte Lindbergh ganz auf die Bohne. In Graz eröffnete er vor zwanzig Jahren mit einem Freund einen Coffeeshop. „Einen der ersten in ganz Österreich“, wie er bemerkt.

Aber später, nach dem zweiten Kaffeeladen und bummvollen Hundertstundenwochen, wurde ihm bald auch etwas anderes klar: „Ich hatte zwar mehr Geld, aber nicht unbedingt mehr Lebensqualität.“ So machte sich Lindbergh ans Entschleunigen – und konzentrierte sich ganz auf das Kaffeerösten.

„Es geht um Sekunden. Man muss wahnsinnig konzentriert sein“, unterstreicht Lindbergh, dass sein Beruf nicht nur Berufung, sondern auch harte Arbeit ist. Rund eine halbe Tonne röstet er pro Monat. In Packerl von einem Pfund oder einem Kilo vertreibt er seinen Kaffee selbst – vornehmlich in Graz und Umgebung. Das Ausliefern übernimmt er selbst, er genießt den Plausch mit der Kundschaft. Bestellt wird per Mail oder über Telefon. Aber großartig Werbung macht Lindbergh eigentlich nicht. Sein Ein-Mann-Unternehmen ist nicht auf Expansion ausgerichtet. Lindberghs Devise ist die Entdeckung der Langsamkeit. Den Stress, den er um sich herum beobachtet, versucht er weitgehend zu minimieren. Sein Credo: „Ich röste das, was bestellt wird.“

Nachhaltigkeit als zentraler Wert

Viel ist in diesen Tagen von Nachhaltigkeit die Rede und von alternativen Wirtschaftsformen. In Deutschland propagiert eine Reihe junger Ökonomen das Modell des Verantwortungseigentums. Das Unternehmen setzt zwar auf Gewinn, aber der wird nicht ausgeschüttet. „Das Firmenvermögen wird dem Zugriff der Eigner entzogen. Damit wird sichergestellt, dass es im Unternehmen bleibt und langfristig der Firma nützt, etwa über Reinvestitionen“, umschreibt Mitinitiator Armin Steuernagel die Idee. Die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth propagiert die Donut-Ökonomie. Statt allein auf Markt und Wachstum zu starren, setzt sie auf zwei andere Faktoren: Umwelt und Gesellschaft. „Der auf Wachstum ausgerichtete Wohlstand dieser Zeit zerstört die Erde, da mehr Ressourcen gebraucht werden, als vorhanden sind. Zudem verschärft sich die Ungleichheit“, lautet ihr Credo. Die Gemeinwohl-Ökonomie geht ähnliche Wege, nicht der Gewinn steht im Mittelpunkt, sondern das Wohl von Mensch und Umwelt.

Auch Lindbergh setzt verstärkt auf fair gehandelte Bohnen und Kaffee aus Bio-Anbau. Aber er braucht für seinen entschleunigten Weg keinen großen theoretischen Überbau. „Wichtig ist, dass am Ende des Jahres unter dem Strich keine rote Zahl dasteht, sondern eine schwarze. Dann passt das für mich.“ Weniger ist mehr. Und so geht es im Gespräch mit Lindbergh auch nicht um Businesspläne und Excel-Tabellen, um Umsatzziele und Gewinnmargen, sondern um Angenehmeres: um Kaffee. Er steckt seine berufliche Energie nicht in die Expansion seiner Firma, sondern auf die Veredelung seiner Bohnen. „Es geht wie beim Wein darum, das ganze Potenzial herauszuarbeiten.“

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Lindbergh träumt vom perfekten Kaffee. Und fühlt sich dem momentan in seiner Arbeit sehr nah. Aber wie ist er denn nun, der perfekte Espresso? „Ich habe eine Vorstellung davon im Kopf, der man in Italien am nächsten kommt“, sagt Joachim Lindbergh und rät dazu, zum Zucker zu greifen, damit die Aromen sich besser entfalten. Sein Espresso-Fazit nach zehn Jahren Rösterfahrung: „Wenig Säure, viel Aromen. Vielleicht Haselnuss oder ein bisschen Schokolade. Und natürlich eine perfekte Crema drauf.“ So genussvoll können den Kern ihrer Geschäftsidee nur wenige beschreiben.