Chaotisch, charmant, lebensfroh, liebenswert, aufregend, pittoresk und dazu noch ziemlich skurril. So muss man sich Neapel vorstellen. Letzteres spiegelt sich unter anderem in den kunst- und nicht weniger humorvollen Krippen wider, deren Tradition bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht. Zur Weihnachtszeit werden Josef, Maria und Co. in der Krippenstraße San Gregorio Armenio im Herzen der Altstadt in Szene gesetzt. Da dürfen der Pizzabäcker mit seinem Ofen und Neapels „Urkomiker“ Pulcinella auf keinen Fall fehlen.

Der weiß gekleidete Mann mit Zipfelmütze und schwarzer Halbmaske, Symbolfigur des neapolitanischen Volkstheaters, ist auch sonst in der Stadt omnipräsent – als Puppe, Gipsfigur, auf dem Firmenschild oder Pasta-Etikett. Man liebt ihn und man lebt ihn! Denn als liebenswerter, lauter, fröhlicher kleiner Mann von der Straße, der sich niemals unterkriegen lässt, verkörpert er bis heute die neapolitanische Volksseele.

Diese Seele hat angesichts von Herausforderungen wie der ständigen Bedrohung durch den Vulkan Vesuv bis zur Corona-Pandemie gelernt, sich mit den Gegebenheiten des Lebens in heiterer Improvisation zu arrangieren. Immerhin lebt man ja trotz allem in einem „Paradies“, wie es Goethe in seiner „Italienischen Reise“ beschrieb.

Der wahre Reiz Neapels liegt im einzigartigen Flair, das ihm die gelassen wie fröhlichen Menschen verleihen, und natürlich im immensen kulturellen Erbe. Es reicht stolze 2500 Jahre zurück, in die Zeit der Gründung der Griechen-Kolonie Neapolis, dem heutigen „Centro Storico“.

Nie einer Zerstörung zum Opfer gefallen, schöpft man bei einem Streifzug durch das historische Zentrum aus dem Vollen großer Stilepochen: Mittelalterliche Mauern mit gotischen Fenstern reihen sich an Barock- und Renaissancefassaden, die auf griechischen oder römischen Fundamenten stehen. Die Zeitreise im „Unterirdischen Neapel“ – der weitläufigen „Stadt in der Stadt“ – führt bis in 5000 Jahre alte Tuffsteinhöhlen und Zisternensysteme aus der Römerzeit zurück.

Auch die Figuren in den neapolitanischen Krippen tragen heuer Maske
Auch die Figuren in den neapolitanischen Krippen tragen heuer Maske © salvatore Laporta / PA / picturedesk.com (salvatore Laporta)

Neapel wird auch die „Stadt der tausend Kirchen“ genannt. Wie viele es tatsächlich sind, weiß keiner. Das historische Zentrum, seit 1997 Unesco-Weltkulturerbe, zählt rund 250 sakrale Bauten, von denen nur rund 80 als Gebetsstätten oder Museen aktiv sind. Besonders faszinierend unter ihnen ist die Chiesa del Gesù Nuovo.

Zugegeben, es erfordert einen Hang zum Morbiden, um an den unzähligen „nicht aktiven“, also teils hoffnungslos verfallenen Kirchen Gefallen zu finden. Zweifellos faszinieren aber deren Zweckumwidmungen: „Wir betreuen in diesem medizinischen Zentrum kostenlos 400 bedürftige Familien“, erzählt Modesto Caso, Präsident des wohltätigen Vereins Sisto Riario Sforza, stolz vor dem Altar der einst verlassenen Kirche San Tommaso a Capuana, auf dem sich Medikamente stapeln. Die Sakristei dient heute als Untersuchungsraum. Auch Weltlicheres findet seinen Weg in die verblassten sakralen Gefilde, wie etwa eine Eisdiele oder eine Motorroller-Werkstatt.

Medikamente auf dem Altar der Krankenhaus-Kirche San Tommaso a Capuana
Medikamente auf dem Altar der Krankenhaus-Kirche San Tommaso a Capuana © RRK

Den besten Überblick mit 360-Grad-Panorama weit über die Stadt und den Golf von Neapel bietet das hoch oben thronende Castel Sant’Elmo. Das von historischen Gärten umgebene prächtige Museum Capodimonte auf dem gleichnamigen Hügel im Norden der Stadt birgt eine der schönsten Gemäldesammlungen Italiens.

Die einen Steinwurf entfernte, mit 6000 m2 weitläufigste Katakombenanlage der Welt, San Gennaro, sollte auch nicht versäumt werden, ebenso wenig das Archäologische Nationalmuseum mit den Ausgrabungen von Pompeji und Herculaneum. Ein absolutes Muss, nicht nur für rot-weiß-rote Patrioten, ist das beeindruckende Nitsch Museum. Wo könnte es auch besser hinpassen als ins schauspiellustige Neapel?

Die Pizzeria da Michele ist die wohl berühmteste der Stadt
Die Pizzeria da Michele ist die wohl berühmteste der Stadt © RRK

Die Liste weiterer empfehlenswerter Sehenswürdigkeiten der Stadt wäre noch lange – aber jeder braucht eine Pause. Am besten, man gönnt sich dafür die klassischste aller neapolitanischen Nationalspeisen, die „Margherita“, in der Pizzeria „da Michele“, der wohl beliebtesten der Stadt. Sie zählte schon Stars wie Julia Roberts zu ihren Gästen.

„Um Neapel wirklich kennenlernen zu können, braucht man zwei Leben“, bringt es Rosario Marino, Tourismusverantwortlicher der Stadt, für alle, die ihre To-do-Liste nicht bewältigen konnten, realistisch auf den Punkt. Dem fügt man sich am besten mit Gelassenheit und kommt so oft wie möglich wieder.

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