Beifahrer kennen das: Man ist erst ein paar Minuten in Italien, da taucht beim gelangweilten Blick aus dem Autofenster zwischen dem Tunnel auf der Bundesstraße bei Coccau und Tarvis links plötzlich dieser riesige grüne Soldat auf. Er stellt ein Denkmal in Doppelfunktion dar. Zum einen erinnert der Soldat an die Napoleonischen Kriege, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch zu Kämpfen im Kanaltal geführt haben. Zum anderen ist er der beste, weil größte Wegweiser zur Orrido dello Slizza, der Slizza-Schlucht.

Bei der Slizza handelt es sich um einen knapp 30 Kilometer langen Fluss, der im italienischen Val del Rio del Lago (Seebachtal) unterhalb des Nevea-Sattels entspringt und bei Arnoldstein in Österreich in die Gail mündet. Mit seinen vielen Namen spiegelt er die sprachliche Vielfalt wider, die im österreichischen Kanaltal bis zur Abtretung an Italien 1919 geherrscht hat.

Das 1909 errichtete Denkmal dient als Wegweiser
Das 1909 errichtete Denkmal dient als Wegweiser © Helmuth Weichselbraun

Slizza ist die aktuelle italienische Version. Auf der Kärntner Seite der Grenze steht der Fluss als Gailitz in den Landkarten, wird aber – wie von älteren Kanaltalern – schlicht „Schlitza“ tituliert und auch genau so ausgesprochen. So nennt man die Slizza im Kanaltaler Dialekt des Slowenischen, der zwischen Tarvis und Pontafel bis 1919 neben Deutsch hauptsächlich gesprochen wurde. In allen Sprachen des Grenzgebietes – im Kärntner Volksmund kommt noch die selten verwendete Bezeichnung Gailica dazu – ist die Bedeutung dieselbe: kleine Gail.

Der Weg durch die Schlucht ist ganzjährig frei zugänglich
Der Weg durch die Schlucht ist ganzjährig frei zugänglich © Helmuth Weichselbraun

Darüber kann man nachdenken, während man vom Soldaten-Denkmal in die Schlucht absteigt. Zur Slizza, die sich im Lauf der Jahrtausende bis zu 150 Meter tief in das Kalkgestein eingegraben hat, führen Hunderte Stufen. Ihre Höhe ist, um es für Wanderer spannend zu machen, völlig unterschiedlich. Belohnt wird man am Ende mit einem Rastplatz, von dem Urlauber, die oben auf der Autobahn in den Süden eilen, auf ihrer Reise nur träumen können. Weiße Kieselsteine, dahinter das – je nach Sonneneinstrahlung – eher türkise oder blaue Wasser der Slizza und rundherum viel Grün: Farben wie in der Karibik im alpinen Kanaltal. An heißen Tagen ziehen hier nicht nur Kinder gern die Wanderschuhe aus und waten durchs kühle Nass.

Flussaufwärts führt der nach Sanierungsarbeiten seit Sommer wieder freigegebene Weg dann einen knappen Kilometer weiter durch die Schlucht. Man wandelt dabei zum Teil auf Holzstegen, die an Felswänden über dem Wasser hängen. Bei einer besonders engen Stelle müssen Wanderer in einen eigens dafür aus dem Gestein geschlagenen Stollen ausweichen. Er wurde gemeinsam mit dem abenteuerlichen Steig Ende des 19. Jahrhunderts von Graf Carl von Arco Zinneberg angelegt. Der adelige Tarviser Kaufmann soll sich in die malerische Landschaft regelrecht verliebt haben. An den edlen Spender, der 1873 im Alter von nur 32 Jahren auf der Jagd ums Leben gekommen ist, erinnert eine Stele neben dem Weg.

Erinnerung an den edlen Spender des Steigs
Erinnerung an den edlen Spender des Steigs © Helmuth Weichselbraun

Die alte Eisenbahnbrücke, die in 63 Meter Höhe und in exakt derselben Länge über die Schlucht führt, markiert das Ende des Steges entlang der Slizza. Über Stufen steigt man nun wieder auf – nicht ganz 150 Meter, sondern etwas weniger, weil es dazwischen flussaufwärts gegangen ist. Oben wartet ein Kuriosum: eine 2012 angebrachte falsche Infotafel. Neben einem Grenzstein mit der Aufschrift KRB übersetzt sie diese mit „Kaiser Reich Bahn“, was Experten zusammenzucken lässt. „KRB steht für Kronprinz-Rudolf-Bahn. Sie wurde im 19. Jahrhundert in Betrieb genommen und verband die Kaiserin-Elisabeth-Bahn, die spätere Westbahn, über Selzthal, St. Veit/Glan, Feldkirchen, Villach und Tarvis unter anderem mit dem Königreich Italien“, klärt der Villacher Eisenbahnhistoriker Christoph Posch auf.

Ein Grenzstein der Kronprinz-Rudolf-Bahn, die hier vorbeiführte
Ein Grenzstein der Kronprinz-Rudolf-Bahn, die hier vorbeiführte © Helmuth Weichselbraun

Die 1870 errichtete Brücke über die Slizza-Schlucht gehörte zur Hauptstrecke nach Laibach. In ihrer ursprünglichen Funktion wurde sie bis zur Stilllegung der Bahnverbindung zwischen Tarvis und Jesenice Ende der 1960er-Jahre genutzt. Heute ist die Brücke Teil des asphaltierten Radweges, in den man die ehemalige Bahntrasse mit EU-Geldern auf italienischer und slowenischer Seite verwandelt hat.

Wer nach den vielen Stufen noch Luft und Lust hat, kann also theoretisch gleich nach der Wanderung eine Runde mit dem Drahtesel drehen. Die meisten Slizza-Schlucht-Bezwinger ziehen aber eine Pizza oder Spaghetti in Tarvis vor. Aber Achtung! Derzeit muss in Italien landesweit auch im freien Gelände ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden.

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