Das passende Caffè ist in Italien eine Glaubensfrage, genau wie der Fußballverein. Angeblich wechselt man eher den Lebenspartner als den Lieblingsklub, und so ähnlich ist es mit dem Ort des ersten Kaffees am Morgen.

In Venedig müssen sich die Bewohner seit Jahrhunderten entscheiden: Gehen sie ins Caffè Quadri – oder ins noch viel ältere Caffè Florian? Meist wird, beim Caffè wie beim Fußball die Präferenz über Generationen weitervererbt. Eigentlich ist die Wahl doch ganz einfach, denn das Florian, gegründet am 29. Dezember 1720, ist die Mutter aller Kaffeehäuser. Zu Gast waren schon Giacomo Casanova, Johann Wolfgang von Goethe, Honoré de Balzac, Charles Dickens, Marcel Proust, Thomas Mann und Richard Wagner.

Da kommt kein Kaffeehaus der Welt mit, auch nicht die Konkurrenz von drüben, schräg gegenüber auf dem Markusplatz, jenem wohl schönsten, sicher aber ungewöhnlichsten Platz der Welt mit den Gondeln, die hier rhythmisch im Wasser auf und ab tanzen, direkt am Dogenpalast, von wo aus 500 Jahre lang ein Weltreich regiert wurde.

Und wie rechtfertigen sich die zehn Euro für einen Caffè im Florian: Sie sind kein Preis für ein Getränk. Sondern ein Ticket für eine nostalgische Reise in die Vergangenheit. Das Erstaunliche an den italienischen Kaffeehäusern ist, ob es das Tommaseo in Triest, das Florian in Venedig, das Pedrocchi in Padua oder das Antico Greco in Rom ist: Mögen sie auf heutige Besucher etwas staubig, behäbig und antiquiert wirken, waren sie doch einst Orte hitziger Debatten, avantgardistische Brutzellen, revolutionäre Brandherde – eine Gefahr für die herrschende Klasse. Hier durfte das Undenkbare nicht nur gedacht, sondern auch laut ausgerufen werden.

Das Caffè Florian in Venedig ist 300 Jahre alt
Das Caffè Florian in Venedig ist 300 Jahre alt © AFP


Übrigens ist Triest und nicht Venedig die eigentliche Stadt des Kaffees, darum gibt es auch dort (und nicht in der Serenissima) Unmengen von Kaffeehäusern; denn in Triest kamen die Bohnen an und legten somit auch die Grundlage für die Wiener Kaffeehauskultur. Zwar entdeckte ein venezianischer Gesandter im Orient bereits im 16. Jahrhundert das Getränk, doch die Venezianer schlürften lieber ihren süßen, dickflüssigen Kakao, und Triest baute zunächst konkurrenzlos den lukrativen Kaffeehandel aus.

Tommaseo in Triest
Tommaseo in Triest © Groemedia

Aber Venedig hat eben die unwiderstehliche Anziehungskraft, sich auch die Meriten anderer Städte einzuverleiben. Dennoch: In Triest wird – wie in Wien – die Kaffeehauskultur nach wie vor gelebt und ist keineswegs eine eher exotische historische Randnotiz wie beispielsweise das Florian bei den jungen Studenten in Venedig.

Die Italiener haben Kaffee schon immer geliebt, doch was kaum einer weiß: Der Espresso ist eine blutjunge Erfindung. Denn einst trank man den Kaffee wie Tee; man übergoss das Pulver aus den Bohnen einfach mit heißem Wasser. Manchmal filterte man das Pulver heraus und manchmal nicht. Und wie es mit unserem Bürokaffee geht, wurde der Kaffee schnell schal, kalt, bitter. Wäre es nicht möglich, einen Kaffee all’espresso zu machen, frisch und genau dann, wenn der Kunde ihn ordert?

Der erste Geniestreich erfolgte im Jahr 1901 von einem Tüftler namens Luigi Bezzerra: Wasser wurde in einem großen Kessel bis zum Verdampfen erhitzt und durch ein Ventil nach draußen entlassen, wo es auf den gemahlenen Kaffee traf. Nicht schlecht, aber immer noch eine ziemlich bittere Angelegenheit, denn das Wasser war meist schon Wasserdampf, und der ist heißer als 100 Grad (wäre er kühler, wäre er ja noch heißes Wasser).

Das Kaffeehaus Beltrame in Udine
Das Kaffeehaus Beltrame in Udine © Privat

Das Kaffeepulver verbrannte, das Getränk schmeckte entsprechend. Aber immerhin: Der Kaffee kam frisch zu den Kunden. Für die ersten Ungetüme brauchte man ein patentino, eine Bedienerlaubnis, und der Bedienende hieß nicht barista, sondern macchinista, Maschinist. Hin und wieder explodierte ein Kessel.

Erst 1948 hatte Achille Gaggia die Königsidee: Ein Kolben, den der Maschinist mit einem Hebel bediente, brachte ordentlich Druck auf das Wasser, um es durch das Kaffeepulver zu pressen. So musste das Wasser nicht mehr kochend heiß sein, und endlich entstand unter dem Druck von neun Bar die legendäre Crema und die leicht schaumige Espressokrone.