Auch wenn er sie nicht sehen kann, weiß er, dass sie da sind. Felsen, dreißig Zentimeter unterhalb der Wasserlinie. Chittaphone Oun Huean kneift die Augen zusammen, dreht am Steuerrad, zwingt das Schiff in eine sanfte Linkskurve. Wir entfernen uns vom rechten Ufer, fahren am bewaldeten Hang der anderen Seite entlang. Minuten später zieht der Kapitän die „Mekong Sun“ zurück in die Mitte des Stroms.

Sein ganzes Leben ist der drahtig gebaute Mann aus dem Dorf Ban Ou mit Schiffen auf dem Mekong in Laos unterwegs, zwischen Luang Prabang und Vientiane. Die steinerne Gefahr im Wasser ist auf keiner Karte verzeichnet, nur Markierungen, vor Jahrzehnten von den Franzosen in Uferwände gehauen, geben vage Hinweise.

Hunderte Flusskilometer hat Oun Huean über die Jahre auswendig gelernt. „Man sagt ja, ich kenne hier beinahe die Fische beim Namen“, scherzt er und zupft an dem über den Hosenbund hängenden Hemd. Seit 13 Jahren steuert er die „Mekong Sun“ über den mächtigen Strom. Dem Tageslicht und seinen Augen vertrauend. „Vor der Dämmerung legen alle Boote an. Nachts fährt niemand.“

4500 Kilometer überwindet der in China entspringende Mekong auf seiner Reise durch fünf Staaten bis zu seiner Mündung in Vietnam. Hier im Norden von Laos scheint sich das Flusstal bleibenden menschlichen Einflüssen widersetzt zu haben. Bäume und Buschwerk überwuchern die Hügel. Die Uferlinie springt ungezähmt vor und zurück.

Mit brummendem Motor strebt die „Mekong Sun“ voran, teilt das vom Schlamm braun gefärbte Wasser. Andere von zu Hause gewohnte Geräusche? Fehlanzeige: keine Autos, keine Hupen, kein Geschrei.

Vereinzelt lugen Pfahlbauten durchs Grün. An einer Sandbank badende Kinder winken belustigt herüber, als sie das Schiff erspähen. Zwei Fischer stehen im Boot und legen ein mit Plastikflaschen als Schwimmer verbundenes Netz aus. Ohne sichtbare Hast. Der Strom gibt das Tempo vor, Ungeduld und Hektik kennt er nicht.

An Bord der aus Mahagoni gezimmerten „Mekong Sun“ setzen sich die Kreuzfahrtgäste barfuß an den Tisch. Schuhe sind an Bord nicht erwünscht, auch das Handy kann in der Kabine bleiben. An Deck des Boutique-Schiffes, das wie ein zu groß geratenes Hausboot aussieht, gibt es zwar WLAN, das funktioniert aber, wie so vieles in Laos, nur dann, wenn es ihm gerade passt. In diesem Fall: wenn es am Ufer ausreichende mobile Netzabdeckung gibt.

Befestigte Straßen

Wir fahren Richtung Süden. Langsam werden die Bergflanken am Ufer steiler. In einem gelichteten Einschnitt tauchen ein paar mit Stroh gedeckte Hütten auf. Nicht jede Siedlung hat hier eine befestigte Zufahrtsstraße, in der Regenzeit wird oft der Fluss zur einzigen Verbindung nach draußen. Dörfer sind teils nicht ans Stromnetz angeschlossen. Und selbst wenn eine Leitung existiert, bedeutet das nicht, dass es zu jeder Stunde Strom gibt.

Vertäut liegt die „Mekong Sun“ am Ufer nahe dem Dorf Ban Kok San, übersetzt das Teakholzdorf. Junge Dorfbewohner haben hier kleine Teak-Plantagen angelegt, nach 25 bis 30 Jahren Wuchs wollen sie die Bäume fällen und das Holz verkaufen. Zur Altersvorsorge, als persönliches soziales Netz.

Auf dem erdigen Dorfplatz tollen Kinder in Flipflops umher, hinter Holzverschlägen lärmen Ziegen, Hühner und Schweine. 20 Hmong-Familien wohnen hier, ein Volk, das früher in den Bergen lebte. Nachdem die Hmong im Vietnamkrieg für die USA kämpften, wurden ganze Dörfer nach Ausrufung der Volksrepublik Laos in die Flusstäler zwangsumgesiedelt.

Ihre Bräuche und Gepflogenheiten haben die Hmong behalten, in 40 Jahren hat sich hier kaum etwas verändert. So sind die meisten Häuser auf traditionelle Weise mit Stroh gedeckt, alle zwei bis drei Jahre muss das Dach erneuert werden.

Kein Anschluss ans Stromnetz

Elektrischen Strom aus dem Netz gibt es in Ban Kok San nicht. Getreide wird von den Männern des Dorfes zwischen zwei handbetriebenen Mühlsteinen zerrieben. „Die Wände der Hütten werden immer noch dicht mit Brettern verschlagen, wie das am Berg zweckmäßig war“, sagt Kreuzfahrtdirektor Thomas Stukenbrok. „Entsprechend heiß ist es drinnen.“

Der geborene Ostberliner, Ex-Banker und Aussteiger, lebt seit 15 Jahren im benachbarten Myanmar. Ban Kok San besucht er öfter, nutzt die Kreuzfahrten auch für Hilfslieferungen. So ist hier ein Brunnen gebaut worden, auch eine Volksschule gibt es.

Es wird Nacht. Der Mekong liegt ruhig da, fast wie ein See. Das schwarze Wasser verschmilzt mit den dunklen Hügeln des anderen Ufers. Das Schiff rührt sich nicht. Vom Dorf ist kein Laut zu hören.

Am frühen Vormittag legt das Schiff ab, zwei Frühstückskaffee später geht es mit dem Kleinbus über rumpelige Straßen ins Hinterland zum Kuang-Si-Wasserfall. Blaugrün stürzt das Wasser über Steinstufen, sammelt sich in kleinen Kalksteinbecken. Auch im Sommer wird das Wasser nicht wärmer als 20 Grad, so ist bei den Besuchern die Badestelle an einem der Becken sehr gefragt.

Hilfe für die Bären

Über wurzelige Waldwege kommt man zum Bären-Rettungszentrum. 35 Kragenbären leben hier, die in Nordlaos an der Grenze zu China gefangen wurden. Beim großen Nachbarn ist die Gallenflüssigkeit dieser vom Aussterben bedrohten Bärenart als Potenzmittel gefragt. Die Tiere werden bewegungsunfähig in winzigen Käfigen gehalten, über Katheter wird ihnen die Flüssigkeit abgezogen.

Einzelne Bären leiden auf diese Weise zehn bis 20 Jahre, ehe sie sterben, erfährt man im Zentrum. Die Laoten fangen die tierischen Grenzgänger, ehe sie von den Chinesen erwischt werden.

Die „Mekong Sun“ hat in der Zwischenzeit gewendet und kämpft sich nun gegen die Strömung in Richtung Norden. Das Ufer auf der Ostseite wird flacher und gibt den Blick in das vom Dschungel bewachsene Hinterland frei. Hügel reiht sich an Hügel, hier möchte man sich als Wanderer nicht verlaufen. Eine frische Brise streicht über das Deck und mildert für wenige Sekunden die Morgenschwüle.

Wasserstand

Oun Huean steuert das Schiff erneut routiniert vorbei an spitzen Felsen im Flussbett. Es hat wenig geregnet, der Wasserstand des Mekong ist um drei Meter niedriger als üblich. Wäre das Schiff nicht ein überbauter Katamaran mit nur 1,1 Meter Tiefgang, wäre die Fahrt nicht an allen Stellen möglich.

Stukenbrok trommelt seine Kreuzfahrtgäste zu einer vom Gesetz vorgeschriebenen Notfallübung zusammen. Mit fragwürdig fixierten Schwimmwesten stehen diese daraufhin verloren und wenig motiviert an Deck herum. Fazit: Ein fachkundiger Mann am Steuer ist durch nichts zu ersetzen.

Lange Bohnen

Die Stadt Luang Prabang ist erreicht. An der mit Papaya-Stauden und anderem Grünzeug bewachsenen Uferböschung pflückt Ken Chanh gerade lange Bohnen. „Heute ist ein Pechtag“, sagt er lächelnd und holt einen kleinen Fisch aus dem Eimer. Mehr habe er nicht gefangen, darum bringe er seiner Frau fürs Mittagessen auch noch diese Bohnen mit. Chanh blickt nachdenklich über den Fluss in Richtung der Berge, die noch im Dunst liegen. „Es wird heiß heute.“

Tatsächlich liegt drückende Hitze über der alten Königsstadt. Mit ihren Tempeln und dem Königspalast hat es Luang Prabang zum Unesco-Weltkulturerbe gebracht. Das zieht Touristen an. Entsprechend belebt ist der Lebensmittelmarkt. Schon ab 4 Uhr morgens öffnen die Händler ihre Stände. Wer neue geschmackliche Erfahrungen sucht, ist hier richtig: Fledermäuse, Maulwürfe und Mekong-Algen sind zu haben, ebenso diverse Innereien und Wasserbüffelhaut. Das alles ergibt auf dem Weg zwischen den Ständen eine außergewöhnliche Duftmischung.

Zurück auf dem Wasser fährt die „Mekong Sun“ weiter nach Norden. Mitten im Grün wirkt es wie eine Ohrfeige: Baukräne und eine halb fertige Betonbrücke tauchen auf. Es sind die Chinesen, die hier in Laos in eine Bahnüberführung investieren. Nicht ganz selbstlos, denn die Brücke ist Teil einer geplanten Schnellbahnverbindung vom chinesischen Mutterland bis nach Singapur.

Überhaupt ist das Interesse der Chinesen am wirtschaftlich schwachen Laos gewachsen: So hat Peking angeboten, die Wasserfälle an der Grenze zu Kambodscha, die eine durchgehende Befahrung des Mekong verhindern, mit Staustufen zu regulieren. „Sie bieten Investitionen, Laos tut sich schwer, das abzulehnen“, sagt Stukenbrok.

Heilige Höhlen

An der Mündung des Ou-Flusses hat die „Mekong Sun“ den nördlichsten Punkt ihrer Reise erreicht. Oben in der Uferwand klaffen die Pak-Ou-Höhlen, wo Gläubige im Laufe von 450 Jahren Tausende Buddha-Figuren zusammengetragen haben.

Ein Ort, der zeigt, wie zeitlich begrenzt das Ich ist. Am Fuß des Fels zieht der Mekong vorbei. Jahrhunderte zerrinnen in seinem Schoß gleichsam zur Ewigkeit wie zu einem einzigen Augenblick. Er ist der Immerwährende. Und das ist beruhigend.

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