Plötzlich reden alle vom „Overtourism“, davon, wie einheimische Lebenskultur durch bedrohlich anschwellende Besucherströme erdrückt wird; in Venedig, in Dubrovnik, in Barcelona, an Orten also, deren Schönheit und Einzigartigkeit sich inzwischen weltweit herumgesprochen hat.

Da können sie in Salzburg nur lachen; in Salzburg, darf man spekulieren, ist der Overtourism nämlich erfunden worden, vor Jahrzehnten schon, nur ohne schicken Anglizismus, und wer das für übertrieben hält, der war sicher noch nie in der Getreidegasse und soll die jetzt einmal rauf- und runterspazieren, und dann reden wir noch einmal drüber.

Salzburg ist im Sommer schrecklich, das ist eine ununmstößliche Binsenweisheit, so wie Kopfhörer schlecht für die Ohren sind und Amokläufer ihre Nachbarn vorher immer freundlich gegrüßt haben. Die Stadt ist eben ein großartiger Reibebaum.

Aus vielerlei Gründen, die keiner so saftig wie der an solchen Stellen immer gern zitierte Thomas Bernhard artikuliert hat, der über seine Heimatstadt mitteilte, sie sei „in Wirklichkeit eine Todeskrankheit, in welche ihre Bewohner hineingeboren und hineingezogen werden, und gehen sie nicht im entscheidenden Zeitpunkt weg, machen sie direkt oder indirekt früher oder später unter allen diesen entsetzlichen Umständen entweder urplötzlich Selbstmord oder gehen direkt oder indirekt langsam und elendig auf diesem im Grunde durch und durch menschenfeindlichen architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischen Todesboden zugrunde.“

Das sitzt. Das hält auch. Und demnächst beginnen noch dazu die Festspiele! Heißt: noch mehr Leute, noch mehr Wirbel, noch mehr Kleinstadt, die sich als Nabel der Welt fühlt. Schon jetzt drehen, liest man, die ersten Salzburger durch und fangen an, Touristen, die z. B. auf der Radspur herumstehen, anzukeifen: Mittelfinger werden gezeigt, Verbalinjurien ausgeteilt.

Soll man da überhaupt noch nach Salzburg fahren? Aber natürlich. Der Schönheit und Majestät der Stadt könnten nämlich erstaunlicherweise nicht einmal tausend tägliche Touristenbusladungen etwas anhaben, und wer sich nicht darauf kapriziert, die Getreidegasse abzuwandern, auf der Radspur herumzustehen oder vor Vorstellungsbeginn den Pailettendamen, Smokingherren und Paparazzi vor dem Festspielhaus auf die Zehen zu treten, wird als Besucher im Regelfall eine entkrampfte, urbane Stadt erleben, in der man gut essen, trinken, wohnen kann, wenn man, zugegeben, das nötige Kleingeld eingesteckt hat. Ganz billig ist Salzburg nämlich nicht.

Dieses Klischee stimmt also - ein anderes erfreulicherweise auch: In der Stadt kommt man den Superstars des internationalen Musikbetriebs tatsächlich näher als sonst wo; wer für Anna Netrebko keine Konzertkarten ergattert, kann ihr vielleicht beim Kaffeebestellen im Triangel lauschen. Und das bekannt delikate Frühstück auf der Terrasse des M32 auf dem Mönchsberg nimmt inkognito auch gern jener Schauspieler ein, dem ein vorwitziger Kellner schon einmal den Tisch unter dem Pseudonym J. Edermann reserviert haben soll.

Ansonsten gilt: Salzburgs Festspiel-Prominenz hält sich eher nicht dort auf, wo alle anderen sind. Künstlern begegnet man am ehesten auf dem Fahrrad durch die Altstadt zu Proben, Presseterminen, Vorstellungen hastend; mit etwas Glück an Traditionsadressen wie Imlauer, Goldener Hirsch und Blaue Gans, im Krimpelstätter, Humboldt, Bazar, Sacher oder auf der wieder eröffneten Stein-Terrasse. Sonst eher weiter draußen, in Schloss Fuschl zum Beispiel. Wer es ihnen gleichtut, lernt Salzburg abseits von Dirndltrara und Festspielfuror kennen: klasse Stadt! Zu vermeiden gilt es einzig die Mozartstätten, da fängt man sich nur eine Platzangst ein. Stattdessen empfiehlt es sich, ins Museum zu gehen. Dort ist es schön still, weil eigentlich immer verlässlich leer.

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