Die Zahl ist so absurd hoch, dass sie sich nur schwer fassen lässt. 8,3 Milliarden Tonnen Plastik wurden weltweit hergestellt, seit der Kunststoff-Boom Anfang der 1950er-Jahre voll eingesetzt hat. Das entspricht etwa einer Tonne pro derzeit lebendem Erdbewohner. Oder anders ausgedrückt: Der bisher von der Menschheit produzierte Kunststoff bringt etwa so viel auf die Waage wie eine Million Ausgaben des Pariser Eiffelturms. Oder aber so viel wie 1,7 Milliarden Afrikanische Elefanten beziehungsweise 60 Millionen ausgewachsene Blauwale – die schwersten Tiere, die jemals auf der Erde gelebt haben. Die Rechnung hat nur einen kleinen Schönheitsfehler: Weltweit existieren nur noch 350.000 Afrikanische Elefanten und rund 10.000 Blauwale.

In einem Wort: Kunststoff ist heute dauerpräsent - nicht nur als Überbleibsel in Form des ungeliebten Mikroplastik in den Ozeanen und auf Ackerflächen, sondern auch eingesetzt in unzähligen Bereichen des täglichen Lebens. Dass es so gekommen ist, ist kein Zufall. Kunststoffe weisen Eigenschaften auf, die sie für alle möglichen Verwendungszwecke prädestinieren. Polyethylen mit niedriger Dichte etwa ist leicht, zäh und gleichzeitig flexibel, was es zum guten Ausgangsmaterial für Beutel oder Folien macht. Polystrol wiederum eignet sich durch seine Starr- und Sprödheit gut als Verpackungsmaterial. Und PVC wiederum ist unter anderem im Bausektor allgegenwärtig. Die Herstellung ist im Vergleich zum hohen Nutzen verhältnismäßig günstig. So wurde aus einem ursprünglich hochwertigen Material rasch ein Ausgangsstoff für billige Einwegartikel.

Die Folgen sind anhand der weltweiten Plastik-Schwemme nicht zu übersehen. Die daraus entstandene Diskussion rund um Plastik-Vermeidung allerdings greift Gernot Oreski zu kurz. Der Kunststofftechniker am Polymer Competence Center Leoben (PCCL) bestreitet nicht die Nachteile, die Kunststoffe mit sich bringen, vom Mikroplastik bis zu Müllstrudeln in den Ozeanen. „Aber in der öffentlichen Debatte werden sehr viele Dinge in einen Topf geworfen, die so nicht zusammenpassen.“ Viel entscheidender als die Art des Materials sei für eine Bewertung nämlich die Art des Umgangs damit. „Wenn ich ein Produkt aus Kunststoff nur kurz verwende und dann sofort entsorge, ist das aus Ressourcensicht problematisch. Das gilt aber auch für andere Materialien“, sagt Oreski. So falle die Öko-Bilanz einer Glasflasche für sich genommen wesentlich schlechter aus als jene einer Flasche aus Kunststoff. „Dasselbe gilt für das Stoffsackerl im Verhältnis zum Kunststoffsackerl.“ Ökologisch zu rechnen beginnen sich die alternativen Materialien erst, wenn man sie nachhaltig, also deutlich öfter als nur ein Mal, in Gebrauch hat.

Schützenhilfe bekommt Oreski diesbezüglich von unverdächtiger Seite. Nunu Kaller, Konsumentensprecherin von Greenpeace, spricht von einer „allgemeinen Plastik-Angst“, die sich in der Bevölkerung breit gemacht habe, die so aber nur zum Teil logisch begründbar sei. „Das Problem des Mikroplastiks berechtigt diese Sorgen natürlich, aber klar ist auch: Es gibt Einsatzbereiche, wo Kunststoffe unverzichtbar sind. Ich schaue mir zum Beispiel an, wie ein Arzt ohne Kunststoffeinsatz eine Untersuchung durchführen sollte. Wenn es für langlebige oder sehr spezifische Zwecke verwendet wird, kann Plastik durchaus seine Berechtigung haben.“ Das Problem sei die schiere Masse an Kunststoff, bedingt durch die oft nur kurzfristige Verwendung.

Das „unsichtbare“ Plastik

In vielen Fällen gebe es nämlich überhaupt keine Alternative zu Kunststoffeinsatz, sagt Oreski. „Viele Konsumgüter und Produkte würde es ohne Kunststoff schlicht nicht geben. Das beginnt beim Smartphone und geht bis zum elektrifizierten Kabel im Haus, dessen Isolationsschicht sich nur mit Kunststoff einfach und maßgeschneidert herstellen lässt.“ Ähnliches gelte für Autos, die von den Reifen bis hin zur Windschutzscheibe aus Verbund-Material ohne Kunststoff nicht auskommen. Für den Fachmann ist klar: „Kunststoff ist allgegenwärtig. Und was der Konsument davon bewusst wahrnimmt, entspricht nicht annähernd der gesamten Menge.“

Entsprechend aussichtslos findet Oreski deshalb Versuche, Kunststoff komplett aus dem eigenen Lebensumfeld zu verbannen: „Das ist schlicht unmöglich, weil Kunststoffe überall in der Umgebung sind. Das geht hin bis zur Dispersionsfarbe im eigenen Haus.“ Für effektiver als den Totalverzicht würde der Kunststofftechniker andere Ansätze halten: Plastik etwa dort zu reduzieren, wo es überschießend und nur für kurzfristige Nutzung eingesetzt wird. „Es stimmt zum Beispiel, dass viele Produkte über die Maßen verpackt sind“, sagt Oreski. „Und es müsste mehr in Sachen Recycling unternommen werden.“ Denn so einfach, wie Otto Normalverbraucher gerne denkt, ist es mit der stofflichen Wiederverwertung von Plastik nicht. Je nach Art des Kunststoffs lässt er sich besser, schlechter oder gar nicht zweitverwerten. Und es existieren Hunderte Kunststoff-Spielarten.

Plastik ist nicht gleich Plastik

So bestehen zum Beispiel zwar sowohl herkömmliche Plastiksackerl als auch drucklose Wasserrohre aus Polyethylen. Allerdings aus völlig unterschiedlichen Varianten dieses Ausgangsstoffs. Das führt dazu, dass man sie nicht gleichsam – und vor allem nicht zusammen - recyceln kann. Werden unterschiedliche Kunststoffarten gar zu einer Kombination verschmolzen, ist der Weiterverwertung in der Regel sowieso von vornherein ein Riegel vorgeschoben. „Man sollte sich noch stärker Gedanken darüber machen, wie man die Menge unterschiedlicher Typen reduzieren und optimieren kann, um eine bessere Recycling-Ausbeute zu erhalten“, sagt Oreski.

Denn bislang ist es nur ein sehr geringer Anteil des Kunststoffs, der sich zur Weiterverwendung eignet. So kommt es, dass mehr als drei Viertel des weltweit seit 1950 hergestellten Plastiks heute über den Globus verteilt als Müll oder Mikroplastik ihr Dasein fristen. Nur neun Prozent wurden in irgendeiner Form recycelt. Heute liegt die globale Kunstoff-Recycling-Quote nicht wesentlich höher: bei gerade 14 Prozent.

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