So viel Nähe zum eigenen Partner, wie sie uns die Quarantänemaßnahmen in der Coronakrise aktuell beschert, hätten sich die meisten wohl eher nicht gewünscht. Noch ist es aber nicht gewiss, ob davon am Ende vor allem die Scheidungsanwälte profitieren werden. Die neue Situation hat beziehungstechnisch nämlich auch ihre heilsamen Seiten.Die Paartherapeuten Sabine und Roland Bösel haben ein schönes Beispiel parat: „Vor zwei Wochen hat uns ein Paar kontaktiert, das unsere Begleitung bei seiner Trennung haben wollte. Das wäre auch per Skype gegangen. Diese Woche haben sie uns angerufen, dass sie uns doch nicht brauchen. Seit sie zusammenleben müssen, würden ihre Gespräche so gut laufen, dass sie beschlossen haben, sich nicht scheiden zu lassen.“ Für die Bösels ist das kein Einzelfall.

Das, was zurzeit gerade wegfällt, sind, wie es in der Psychotherapeutensprache so schön heißt, „Auswege aus der Beziehung“. „Dazu gehören Arbeit, Sport und alles Mögliche, das uns beschäftigt, weil wir es gern machen und weil wir damit aus der Beziehung flüchten können“, sagt Sabine Bösel. Jetzt sind viele dieser Auswege geschlossen. Ein Zitat von Max Frisch bringt es laut Roland Bösel am besten auf den Punkt: „Krise ist ein produktiver Zustand, man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“
Das ist natürlich leichter gesagt als getan. „Aber wir glauben schon, dass das jetzt für viele Paare eine Chance ist“, sind sich die Bösels einig.

Es klingt nach einer Binsenweisheit, ist aber wohl wahr: „Miteinander zu reden, sich Zeit füreinander zu nehmen, ist schon die halbe Miete in einer gelingenden Partnerschaft.“ Wo eine Scheidung im Gespräch ist, wurde freilich bereits eine Menge Porzellan zerschlagen. „Das muss man sich gemeinsam anschauen, man muss dabei auch die eigenen Fehler sehen. Nur Schuldzuweisungen gehen nicht“, sagt Sabine Bösel.

Schon vor Corona haben sie und ihr Mann einmal im Monat einen „Tag der Paare“ in ihrer Praxis angeboten: drei Stunden, in denen Paare eingeladen sind, einfach miteinander zu reden, begleitet von den Paartherapeuten, die dafür sorgen, dass die Kommunikation nach bestimmten Spielregeln und wertschätzend abläuft. Das Grundprinzip lässt sich auch ohne professionelle Betreuung erproben, wie die Bösels betonen. Worauf es dabei ankommt: „Einander ausreden lassen, einmal redet der, einmal der andere. Man nimmt den anderen ernst und hört zu, ohne zu werten.“ Mehr zum Imago-Dialog
Was außerdem noch hilft, wenn die Partnerschaft auf engem Raum gerade schwierig ist? „Wir raten Paaren immer wieder, etwa via Skype mit anderen Paaren zu sprechen, wie es denen so geht – nicht von Freund zu Freund und Freundin zu Freundin, sondern zu viert ein Gespräch unter Paaren“, sagt Sabine Bösel.

Nicht zu unterschätzen sei auch die simple Tatsache, dass der Tag auch in Quarantäne eine Struktur braucht – also Zeit, in der jeder der Partner nur für sich etwas macht.
Und schließlich gibt es da die Dankbarkeitsübung, von der jede Beziehung profitieren kann, auch in Zeiten von Corona. Das geht so, wie Roland Bösel sagt: „Zuerst sagt man, wofür man sich selber dankbar ist. Dann sagt man, wofür man dem Partner dankbar ist, und dann, wofür man dem Schicksal oder Gott dankt. Also: Ich bin mir dankbar für xy. Ich bin dir dankbar für xy und ich bin dem Schicksal dankbar für xy.“

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