In den vergangenen Tagen sind vor Wiener Schulen Flyer verteilt worden, die auf die angeblichen Gefahren der Corona-Impfung hinweisen sowie scharfe Kritik an den Maßnahmen äußern. Die mehrseitigen Flyer enthalten zahlreiche Falschbehauptungen, die Schülerinnen und Schüler verunsichern können. Hier die wichtigsten Behauptungen im Faktencheck:

1 Zulassung der Corona-Impfstoffe

Alle in der EU zugelassenen Corona-Impfstoffe wurden umfassend überprüft und werden weiter überwacht. Aufgrund der Dringlichkeit der Pandemie erfolgte die bedingte Marktzulassung der Impfungen so schnell wie möglich, dennoch wurden alle relevanten Phasen durchlaufen. Grundsätze von Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit wurden dabei gewahrt, schreibt unter anderem die EU-Kommission, die die Zulassung der Impfstoffe nach einer positiven Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), genehmigt.

Auch die EMA betont, eine bedingte Marktzulassung garantiere, dass das Arzneimittel strengen EU-Standards entspreche. An die Sicherheit von Covid-19-Impfstoffen würden dieselben Anforderungen gestellt wie an jeden anderen in der EU zugelassenen Impfstoff, teilt die Agentur an anderer Stelle mit. Die klinische Phase, zu der auch die im Flyer angesprochene Phase-3-Studie gehört, wurde bereits vor längerer Zeit abgeschlossen.

2 Wirksamkeit der Impfungen

Die hohe Schutzwirkung der Impfungen wurde mittlerweile belegt, wie Studien zeigen. Dem aktuellen Bericht der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit (AGES) zufolge sind von 184.872 symptomatischen Corona-Fällen in Österreich seit Anfang Februar 2021 bei Personen über 12 Jahren 11.442 Personen vollständig geimpft. Das entspricht etwa sechs Prozent. 0,14 Prozent oder 250 Geimpfte mussten wegen Corona ins Krankenhaus. Ein steigender Anteil von Impfdurchbrüchen bedeutet nicht, dass die Impfung nicht wirksam wäre. Rein statistisch steigt mit dem Anteil der Geimpften auch der Anteil der Impfdurchbrüche.

3 Keine Eingriffe in Erbgut

Mit der Bezeichnung der Corona-Impfung als "Gen-Impfstoff" wird auf eine alte Falschbehauptung angespielt, wonach die mRNA-Impfung das Erbgut des Menschen verändern könne. Das ist falsch. "Die mRNA (...) wird nach kurzer Zeit von den Zellen bereits wieder abgebaut. Sie wird nicht in die DNA (den Träger der Erbinformation) eingebaut und hat keinen Einfluss auf die menschliche Erbinformation, weder in Körperzellen noch in Fortpflanzungszellen", informiert unter anderem das Gesundheitsministerium.

4 Nebenwirkungen

Im Flyer wird eine Reihe von schweren Erkrankungen als "mögliche Folgen" der Impfung aufgezählt. An anderer Stelle wird behauptet, dass es in Österreich "keine ausreichende Datenerhebung" zu Krankheiten oder Todesfällen nach oder durch die Impfung gebe.

Seit dem Impfstart in Österreich Ende Dezember veröffentlicht das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) in regelmäßigen Abständen Berichte über Meldungen vermuteter Nebenwirkungen nach Corona-Impfungen. Diese werden von Angehörigen der Gesundheitsberufe oder von Patientinnen und Patienten gemeldet. Die Daten werden dann auch an die EMA weitergeleitet, wo sie Zulassungsbehörden zur laufenden Überwachung der Impfstoffsicherung zur Verfügung stehen. Zusätzlich gibt es die EMA-Datenbank EudraViligance, die ebenfalls vermutete Nebenwirkungsmeldungen sammelt und auswertet. Etwaige Sicherheitsprobleme in Zusammenhang mit der Impfung fallen also zeitnah auf. Zu beachten gilt hierbei immer, dass in zeitlicher Nähe zur Impfung auftretende Symptome auch auf andere Ursachen zurückgeführt werden können.

Dem aktuellen BASG-Bericht  zufolge entsprechen die gemeldeten vermuteten Nebenwirkungen in ihrer Art und Häufigkeit den aus den Zulassungsstudien zu erwartenden Reaktionen wie Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Fiebrigkeit. Schwerwiegende Ereignisse wie Vakzin-induzierte immunthrombotische Thrombozytopenie (VITT) oder Herzmuskelentzündungen treten demnach sehr selten auf. 149 Menschen starben in Österreich in zeitlicher Nähe zu einer Impfung. Bei zwei davon wird dem Bericht zufolge derzeit ein Zusammenhang mit der Impfung gesehen.

5 Auswirkungen auf Fruchtbarkeit

Keine Hinweise gibt es darauf, dass die Corona-Impfung Auswirkungen auf die weibliche oder männliche Fruchtbarkeit hat, wie im Flyer angedeutet wird. Darauf weisen Expertinnen und Experten in regelmäßigen Abständen hin. Im Gegensatz dazu häufen sich laut der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG)  die Daten, dass eine Corona-Infektion in der Schwangerschaft häufiger als bei nicht schwangeren Frauen schwere Verläufe zeigt.

6 Langzeitfolgen 

Regelmäßig wird das Argument möglicher Langzeitfolgen, von denen man jetzt noch nichts wissen könne, von Impfgegnern hervorgebracht - so auch von der "Plattform Respekt". Wie das BASG der APA für einen früheren Faktencheck bereits mitteilte, sei mit Langzeitfolgen im Sinne von "treten erstmalig als Impfnebenwirkung Jahre nach der Impfung auf" grundsätzlich nicht zu rechnen. Das liege daran, dass Impfstoffe, anders als manche chemisch hergestellten Arzneimittel, relativ rasch im Körper abgebaut würden. Mögliche Impfnebenwirkungen würden daher bereits binnen weniger Wochen bis Monate auftreten.

7 Prozentuale Angabe von Corona-Gefahr

In Österreich sind bisher rund 11.000 Corona-Totegemeldet worden. Das entspricht rund 0,125 Prozent der Bevölkerung. Auf den im Flyer genannten Wert der gefährdeten und nicht gefährdeten Menschen kommt man, wenn man die Gesamtzahl aller Intensivpatienten anhand der Medienberichte berechnet, wonach rund ein Drittel aller Intensivpatienten verstirbt. Es ist dennoch unzulässig, davon zu sprechen, dass 99,6 Prozent der Bevölkerung nicht gefährdet sind. Zum einen ist jeder potenziell gefährdet und ließe man das Virus ohne Schutz und Maßnahmen sich ausbreiten, wäre der Wert der schweren Verläufe viel höher. Zum anderen sind auch weniger schwere Verläufe eine Belastung für Erkrankte und langanhaltende Beschwerden ("Long Covid")  können Genesene noch über Monate in ihrer Lebensqualität beeinträchtigen.

8 Sinnhaftigkeit von Lockdowns

Auf Basis der Stanford-Studie des US-Gesundheitswissenschafters John Ioannidis wird oftmals die Aussage getroffen, dass Lockdowns epidemiologisch nicht wirksam wären. Das sagt die Studie aber gar nicht aus. Dort wurden nur die Auswirkungen von harten Maßnahmen und die von leichteren Maßnahmen in einigen Ländern verglichen. Die Studienautoren schlussfolgerten daraus, dass etwa Schulschließungen, Verbote von Veranstaltungen oder das Zuhausebleiben im ersten Lockdown zu einer ähnlichen Reduktion der Infektionszahlen geführt haben wie weniger drastische Methoden, beispielsweise Abstandhalten.

Wissenschafter werfen der Studie aber methodische Mängel vor. So wurde nur der Zeitraum der ersten Maßnahmen nach Beginn der Pandemie untersucht, wo unter Menschen generell - auch bei leichteren Maßnahmen - eine große Sensibilität in Hinblick auf Hygiene und Abstandhalten geherrscht haben könnte. Außerdem wurden etwa nur zehn Länder miteinander verglichen, darunter nur zwei mit weniger drastischen Maßnahmen.

Die positiven Auswirkungen von harten Maßnahmen wie Schulschließungen oder Verbote von Veranstaltungen aufs Infektionsgeschehen sind durch Studien mittlerweile belegt. Dass Lockdowns dennoch zahlreiche Nachteile mit sich bringen, wird von offizieller Seite nicht bezweifelt. Die WHO etwa weist auf die Folgen vor allem für benachteiligte Bevölkerungsgruppen hin, erkennt aber an, dass einige Länder keine andere Wahl hatten, um sich in der Pandemie Zeit zu verschaffen.

9 Rolle des Immunsystems

Ein funktionierendes Immunsystem verhindert weder eine Infektion noch eine schwere Erkrankung, betont der Wiener Gesundheitsverbund. Zwar sind vor allem ältere Menschen und Menschen mit Grunderkrankungen gefährdet, allerdings muss hinter einem schweren Verlauf laut Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin nicht unbedingt ein schwaches Immunsystem stecken. Tatsächlich nutze das Virus sogar einen Verteidigungsmechanismus des funktionierenden Immunsystems, um sich in Schleimhautzellen zu vermehren.

10 Todesursachen in Österreich

Dem Flyer liegt eine Abbildung der angeblich häufigsten Todesursachen in Österreich bei, die "die Sinnhaftigkeit des Corona-Maßnahmenzwangs endgültig in Frage" stellen sollen. Tatsächlich sind in Österreich sechs von zehn Sterbefälle auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebszurückzuführen. Darüber hinaus ist die Abbildung aber irreführend, da hier Ursachen wie Rauchen und Krankenhauskeime mit Krankheiten vermischt werden.

Würde man Sterbefälle nach konkreten Todesursachen ordnen, wäre Covid-19 im Jahr 2020 die vierthäufigste Todesursache gewesen. Mit über 6.000 Covid-Toten lag der Wert mehr als doppelt so hoch wie beispielsweise bei Sterbefällen durch Diabetes. Ein Verweis auf andere Krankheiten schwächt die Gefahr durch die Corona-Krise nicht ab. Er zeigt auf, wie wichtig es ist, ein Gesundheitssystem nicht zu überlasten.

11 Impfentscheidung bei Minderjährigen

Nicht ganz richtig ist auch die Behauptung, Kinder dürften nicht ohne schriftliche Einwilligung der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten geimpft werden. Ab dem 14. Lebensjahr können Kinder in Österreich selbst über die Impfung entscheiden - das gilt auch, wenn Eltern die Impfung ablehnen. Bis zum Alter von 14 Jahren ist allerdings eine elterliche Einwilligung notwendig. Der Paragraph 42 des Arzneimittelgesetzes, der im Flyer als angeblicher Beleg für die Behauptung angeführt wird, trifft keine Aussage zur Impfung von Minderjährigen. Es geht darin um Klinische Prüfungen eines Arzneimittels, die an Minderjährigen durchgeführt werden.

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