Frau Redlberger-Fritz, wir sind nun Ende Dezember und laut dem Influenzanetzwerk Österreich ist das Influenzavirus weder in Österreich noch in ganz Europa aktiv. Wie ungewöhnlich ist das?

Monika Redlberger-Fritz: Aus dem langjährigen Durchschnitt wissen wir, dass die Grippewelle in Österreich meist mit Anfang bis Mitte Jänner beginnt. Es gibt aber auch immer wieder Ausreißer, so gab es bereits Grippewellen, die schon Anfang Dezember begannen, andere starteten erst Mitte oder Ende Februar. Eine gewisse Varianz ist also normal.

Das heißt: Es ist noch zu früh, um zu sagen, dass die Grippewelle heuer ausbleibt?

Genau, für eine endgültige Entwarnung ist es noch zu früh. Was wir aber heute schon mit Sicherheit sagen können: Die Grippewelle beginnt heuer – wenn sie beginnt – später und wird auch schwächer ausfallen.

Der Blick auf die Südhalbkugel lässt auch hoffen: In Australien zum Beispiel ist die Grippewelle in dieser Saison völlig ausgeblieben.

Ja, dort kam die Grippewelle nie, was auch daran liegt, dass sich Australien während der typischen Grippesaison im kompletten Lockdown befand. Daher gilt auch für Österreich: Es kommt auf die Situation hierzulande an, im Lockdown hat das Grippevirus kaum eine Chance sich auszubreiten. Wenn aber wieder viele Menschen zusammenkommen, dann wird sich das Virus auch unweigerlich ausbreiten. Schulen spielen hier eine entscheidende Rolle, da Kinder in der Grippewelle die Infektionstreiber sind: Ist das Grippevirus einmal in den Schulen, dann ist es in der ganzen Bevölkerung.

Dass es noch keine Grippe-Virusaktivität gibt, liegt an den Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus?

Ja, die Gründe dafür sind: die Hygiene-Bestimmungen, an die sich die Bevölkerung hält, das Tragen der Mund-Nasenschutzmasken, das Abstandhalten und natürlich auch die fehlende Reiseaktivität.

Das Grippevirus muss jedes Jahr nach Europa und Österreich eingeschleppt werden, damit es zirkulieren kann.

Genau, das passiert meist entlang der Handels- und Flugrouten, ausgehend von Norden über Großbritannien oder die Niederlande, oder auch über den Westen via Spanien oder Frankreich. Von dort aus breitet es sich dann Richtung Süden und Osten in Europa aus. Aus der Erfahrung wissen wir, dass es ab dem Zeitpunkt, wenn das Virus an einer nördlichen oder westlichen Küste ankommt, dauert es etwa vier Wochen bis es Mitteleuropa erreicht. Im Vergleich mit dem Vorjahr sehen wir aber den massiven Unterschied der Fallzahlen: In der Kalenderwoche 50 im Jahr 2019 hatten wir in Europa rund 4800 positive Influenza-Proben, in derselben Woche heuer hatten wir 29 nachgewiesene Influenzainfektionen in ganz Europa.

Haben die Corona-Maßnahmen auch Effekte auf andere Viren?

Ja, die Effekte sehen wir nicht nur bei Influenza, sondern bei allen respiratorischen Viren: Seien es Adeno-, Rhino- oder andere Schnupfenviren, auch diese zirkulieren im Moment so gut wie gar nicht in der Bevölkerung. Die Maßnahmen wirken also auf alle Viren, die über die Atemwege übertragen werden.

Wenn die Maßnahmen es schaffen, die Influenza so stark zu unterdrücken – warum gelingt das für SARS-CoV-2 nicht in diesem Ausmaß?

Der Unterschied zu SARS-CoV-2 ist die Empfänglichkeit in der Bevölkerung. Für das neue Coronavirus gibt es in Österreich eine Durchseuchung von etwa fünf bis sechs Prozent – das heißt: 95 Prozent der Menschen hatten noch keinen Kontakt damit und können sich anstecken. Bei der Influenza ist das anders, da hatten nur ganz kleine Kinder noch nie Kontakt mit einem Grippevirus. Hat man die Grippe durchgemacht, ist man für die nächsten drei bis vier Jahre geschützt – so lange, bis sich das Grippevirus so stark verändert hat, dass es vom Immunsystem nicht mehr erkannt wird. Das heißt: Für das Grippevirus sind jede Saison nur etwa 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung empfänglich – fünf bis zehn Prozent der Erwachsenen in Österreich erkranken ebenso wie zehn bis 20 Prozent der Kinder.

Im Herbst gab es einen noch nie dagewesenen Ansturm auf die Grippe-Impfung: Wenn die Grippewelle ausbleibt, war die Impfung umsonst?

Nein, die Grippe-Impfung ist jedenfalls sinnvoll! Einerseits kann die Grippe ja sehr wohl noch kommen, andererseits gab es diesen Ansturm auch in anderen europäischen Ländern und somit ist die hohe Durchimpfungsrate auch ein Faktor, der das Grippevirus eindämmt. Gemeinsam mit den Corona-Maßnahmen spielen all diese Dinge für uns – und wir konnten bisher verhindern, wovor wir uns gefürchtet haben: Nämlich, dass die Grippe und das Coronavirus gleichzeitig zirkulieren.

Abstand halten, Hände waschen, Mundnasenschutz tragen: Wenn so einfache Maßnahmen so effektiv in der Krankheitsvorsorge sind – was sollten wir aus diesem Pandemiejahr für die Zukunft lernen?

Bei mir als Virologin laufen Sie damit natürlich offene Türen ein: Wir propagieren seit Jahren, wie wichtig es ist in der Grippesaison Maske und Handschuhe zu tragen und auf die Hygiene zu achten. Zumindest im medizinischen Bereich hat sich hier langsam etwas verändert: Menschen mit Atemwegsinfekten bekommen zumindest im Krankenhaus im Wartebereich schon Mund-Nasenschutzmasken. Ich hoffe wirklich, dass sich das nach den Erfahrungen dieses Jahres bessert und die Schutzmaßnahmen auch im privaten Bereich Einzug halten: Wenn ich einen Schnupfen, eine rinnende Nase habe schütze ich durch das Tragen einer Maske meine Mitmenschen.

Das heißt, wir sollten unsere Masken auch dann nicht wegwerfen, wenn das Coronavirus unter Kontrolle ist?

Das wäre zumindest für die Grippesaison sehr wünschenswert, ja.