Mutationen des Coronavirus beschleunigen einer Studie zufolge die weltweite Ausbreitung nicht. In einer Untersuchung, die einen Datensatz von Virusgenomen von 46.723 Menschen mit Covid-19 aus 99 Ländern nutzte, stellten Forscher mehr als 12.700 Mutationen oder Veränderungen im neuartigen Coronavirus SARS-Cov-2 fest.

"Glücklicherweise haben wir festgestellt, dass keine dieser Mutationen die Ausbreitung von Covid-19 beschleunigt", sagt Lucy van Dorp, Professorin am Institut für Genetik des University College London. "Wir müssen wachsam bleiben und weiter neue Mutationen überwachen, insbesondere wenn Impfstoffe eingeführt werden."

Mutation als Möglichkeit: Stammbaum verrät Übertragungsketten

Wiener Forscher ist es gelungen, Mutationen für eine bessere Nachverfolgung von Clustern zu nutzen: Mit dem sequenzierten Erbgut von 750 Coronavirus-Proben aus österreichischen Infektionsclustern konnten sie "Übertragungs-Stammbäume" rekonstruieren. Im Fachjournal "Science Translational Medicine" berichten sie auch, dass sich die Viren in den Patienten verändern.

Ein Team um Andreas Bergthaler vom Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) nutzte die Ausbreitungsdaten (epidemiologischen Daten) der behördlichen Kontaktpersonennachverfolgung und sequenzierte die Coronaviren SARS-CoV-2 in den betroffenen Personen. So konnten sie Virus-Stammbäume erstellen und damit die Contact-Tracing Daten teilweise verbessern.

Man wusste zwar bei einem Cluster in Wien und Korneuburg schon sehr gut, wer wen angesteckt hat, und dass sich das Virus durch eine Infektionskette über eine Spinning-Klasse in einem Fitnesscenter (wo sich die Betroffenen gemeinsam in einem Raum auf Heimtrainern abstrampeln) ausgebreitet hat, sowie einen Kochkurs, Chöre, ein Begräbnis und Kindergeburtstagspartys, erklärte Bergthaler im Gespräch mit der APA. Außerdem gab es dazwischen immer wieder Infektionen innerhalb von Familienhaushalten. Die Forscher konnten an diesen Cluster allerdings einen zweiten Korneuburg/Wien Cluster dranhängen.

"Wir haben aufgrund der Virusmutationen gesehen, dass die Proben zu einem einzigen Cluster gehören müssen, weil sie fast identisch waren", sagte Bergthaler. Die Forscher haben daraufhin 17 der betroffenen Personen noch einmal angerufen und schließlich auch mit diesem Contact-Tracing bestätigt, dass es sich hier um einen zusammengehörenden, und nicht um zwei getrennte Wien/Korneuburg Cluster handelte.

"Außerdem konnten wir beobachten, wie in der Infektionskette von neun Generationen auf einmal eine Virus-Mutation auftauchte, die in Folge an die weiteren infizierten Personen weitergegeben wurde", berichtet er. Somit habe man quasi "in Echtzeit" nachverfolgen können, wie eine Mutation entsteht und in der menschlichen Population weitergereicht wird.

Ob sie etwas bewirkt, sei allerdings unklar. "Bisher wissen wir bei fast keiner Mutation weltweit, was sie wirklich macht", sagte der Forscher. Lediglich eine spezielle Veränderung (D614G Mutation) in jenem Eiweißstoff, mit dem das Virus an Lungenzellen andockt (Spike-Protein) würde zumindest in Laborversuchen die Infektiösität erhöhen.

Die Verteilung von unterschiedlichen Virusmutanten bei Überträgern (Infektoren) und den von ihnen angesteckten Personen (Infizierten) verriet den Forschern zudem, wie viele Viren bei einer Infektion von Mensch zu Mensch übertragen werden. Wenn der Infizierte nur wenige Virus-Varianten des Infektors trägt und trotzdem krank ist, heißt das, dass es schon gefährlich ist, wenn man mit wenigen Viren in Kontakt kommt. Wenn viele Virus-Varianten vom Infektor beim Infizierten zu finden sind, sind viele Viren nötig, um die Krankheit auszulösen. "Im Schnitt sind es 1000 Virus-Partikel", sagte Bergthaler.

Die Streuung sei aber recht groß, das heißt, bei manchen "Infektionspärchen" hat schon eine kleine Virendosis gereicht, bei anderen war sie wiederum viel höher. "Wir wollen uns jetzt anschauen, ob hier unterschiedliche Schutzmaßnahmen wie das Masken-Tragen eine Rolle spielen", so der Wissenschafter.

Die Forscher sequenzierten auch Viren von 31 Intensivstation-Patienten drei bis vier Wochen lang alle paar Tage. "Wir konnten sehen, wie manche Mutationen entstanden und wieder verschwanden", berichtete Bergthaler.

Mit Daten von mehr Patienten wollen die Forscher nun herausfinden, ob sich diese Mutationen bei verschiedenen Behandlungen unterscheiden. "Das könnte uns Anhaltspunkte liefern, inwieweit das Virus sich auf bestimmte Behandlungen anpassen und Resistenzen bilden könnte", sagte er. Da bis jetzt aber keine wirklich wirksamen Therapeutika zur Verfügung stehen, wäre die Antwort aber vorerst nur von akademischer Bedeutung.

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