Vor Herbst/Winter werden seit Monaten Ängste geschürt: Was macht das mit der Psyche und in der Folge mit dem Immunsystem?

CHRISTIAN SCHUBERT: Wir wurden seit Beginn der Pandemie mit Bildern und Zahlen des Schreckens und dem Narrativ des Killervirus konfrontiert – diese Erzählung wurde nie relativiert. Es gibt den Begriff des Nocebos: Prophezeie ich bei einer Medikamentengabe, dass Nebenwirkungen eintreten werden, treten diese auch häufiger auf. Ähnliches könnte bei Covid-19 geschehen, wenn angekündigt wird, dass die Erkrankungs-, ja die Totenzahlen wieder ansteigen werden. Über eine Nocebo-Reaktion kann die Grundlage geschaffen werden, dass man leichter erkrankt. Angst hemmt jene Immunfunktionen – unsere natürlichen Killerzellen und die T-Lymphozyten –, die wichtig für die Abwehr des Coronavirus sind. Durch die Art und Weise, wie Risikokommunikation große Teile der Bevölkerung in Angst versetzt hat, könnte paradoxerweise das Immunsystem geschwächt worden sein.

Was kann man auf psychischer Ebene tun, um immunfit zu werden?

CHRISTIAN SCHUBERT: Uns hat die Natur sehr viel mitgegeben, damit wir gegen Viren gut gewappnet sind. Neben Ernährung und Bewegung sind gesunde Beziehungen, Entspannung und guter Schlaf besonders wirksam für ein gesundes Immunsystem. Herbst und Winter werden aber anders als in den vergangenen Jahren: Umso wichtiger ist es, daran zu denken, dass positive psychosoziale Bedingungen dem Menschen helfen, ein Gegengewicht zu Angst und Panik zu schaffen. Auch sollte man versuchen, aktiv und selbstwirksam zu werden und sich nicht passiv der Meinung der Politik zu unterwerfen. Wer bereits eine ausgeprägte Angstreaktion auf die Covid-19-Krise entwickelt hat, dem rate ich zur psychologischen Behandlung.

Arzt und Psychologe Christian Schubert
Arzt und Psychologe Christian Schubert © kk

Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise insgesamt auf die Psyche?

CHRISTIAN SCHUBERT: In der Covid-19-Krise erwischt es vor allem Vorerkrankte – körperlich Vorerkrankte, die durch das Virus auf der Intensivstation landen können. Es gibt aber auch psychisch Vorerkrankte: Menschen, die schon länger depressiv, ängstlich oder traumatisiert sind, können dem Stresstest Corona nicht standhalten und brechen zusammen. Das ist auch mit einer Verminderung des Immunschutzes verbunden.