Als Psychoneuroimmunologe beschäftigen Sie sich damit, wie Psyche, Gehirn und Immunsystem sich beeinflussen. Was hat diese Pandemie mit uns gemacht?

CHRISTIAN SCHUBERT: Einerseits gibt es Menschen, für die diese Zeit entlastend war: Das Hamsterrad war angehalten. Jene, die keine Sorge um ihre Existenz haben mussten, haben gesundheitlich profitiert – denn aus der Psychoneuroimmunologie wissen wir, dass Entspannen, Entschleunigen positiveImmuntrigger sind. Andererseits gibt es aber auch ein Drama.

Wie sieht dieses aus?

Das Drama dürfte besonders hinter Türen kleiner Wohnungen stattgefunden haben: Wo Menschen um ihre Jobs bangen, zu viele Menschen auf zu wenig Raum leben, wo Gewalt stattfindet. Das ist ein soziales Drama – die Schere zwischen Arm und Reich verdeutlicht sich wieder. Diese Erlebnisse sind psychoneuroimmunologisch verheerend. Studien haben gezeigt, dass Einsamkeit, Gewalt und Traumatisierungen enorme Spuren hinterlassen.

Woran werden sich diese Spuren zeigen?

In der Covid-19-Krise erwischt es vor allem Vorerkrankte – körperlich Vorerkrankte, die durch das Virus auf der Intensivstation landen können. Es gibt aber auch psychisch Vorerkrankte: Menschen, die schon länger depressiv, ängstlich oder traumatisiert sind, können dem Stresstest Corona nicht standhalten und brechen zusammen. Das ist mit einer Verminderung des Immunschutzes verbunden.

Wie kann eine kranke Psyche das Immunsystem schwächen?

Um mit Infektionen fertigzuwerden, brauchen wir bestimmte immunologische „Waffen“ wie natürliche Killerzellen oder T-Lymphozyten – genau diese Immunfaktoren sind bei psychischen Erkrankungen in ihrer Aktivität verringert. Dadurch werden Menschen anfälliger für eine Infektion. Der Lockdown und der verbundene Stress können die Infektionsanfälligkeit erhöhen.

Können diese Negativfolgen für Psyche und Körper jeden treffen?

Ich habe keine Sorge, dass der Shutdown psychisch gesunde Menschen aus den Angeln hebt. Aber es gibt viele Menschen, die chronisch gestresst sind, Depressionen und Angsterkrankungen haben. Wenn man diese in eine Situation bringt, wo sie auf Hilfsmittel wie Bewegung in der Natur oder Beziehungen zu anderen verzichten müssen, haben sie ein erhöhtes Risiko, verhaltensauffällig zu werden – sie ernähren sich schlechter, rauchen mehr, trinken mehr Alkohol. Auch durch den sprachlichen Umgang mit der Pandemie kam es zu Traumatisierungen: Wie in den Medien berichtet wird und wie von bestimmten Virologen und Politikern Angst geschürt wurde – ich nenne diese Mediziner, Politiker und Medienleute in der Covid-19-Krise das Trio infernale. Ihnen muss bewusst werden, was sie mit ihren Äußerungen anrichten können und dass sie Teile der Bevölkerung psychisch und damit auch körperlich schwer belasten.

Gab es eine Alternative in der Pandemie?

Das Virus ist durch die Bilder, die Totenzahlen zum Symbol geworden – es infiziert uns nicht nur körperlich, sondern auch mit Angst und Schrecken. Das sieht die Maschinenmedizin nicht, sie dividiert Seele und Körper auseinander – das ist Unsinn. Und: Es gibt zwei Mitspieler: das Virus und den Wirt, den Menschen. Aber darauf, wie es dem Wirt geht – psychisch, sozial, immunologisch – wurde kaum geschaut! Schweden hat einen anderen Weg gezeigt und sich auf die Selbstverantwortlichkeit verlassen.

Wie weit ist es mit der Selbstverantwortlichkeit her, wenn man sich das Verhalten mancher Österreicher anschaut, sobald Maßnahmen gelockert wurden?

In Österreich wurden Menschen wie Maschinen behandelt, die Selbstverantwortung wurde ihnen abgesprochen. In dieser Passivität existiert der Patient in der Maschinenmedizin schon immer. Das Medizinsystem geht von Reparatur aus, wartet ab, bis der Mensch krank wird. Die Alternative dazu, die Salutogenese, bedeutet, dass man Vorsorge betreibt und Menschen im gesundheitsförderlichen Verhalten unterstützt. Von Menschen, die im Gesundheitsverhalten nicht geschult sind, kann man nicht erwarten, dass sie plötzlich selbstverantwortlich sind. Daher verstehe ich, warum die Politik Menschen die Selbstverantwortung nicht zutraute: Es gibt so viele, die sich selbst und andere schädigen. Erwachsenen, die im Auto rauchen, während Kinder auf der Rückbank sitzen, traue ich nicht zu, dass sie in einer Krise selbst- und fremdverantwortlich handeln.

Was muss sich in der Medizin ändern?

Wir brauchen eine Vorsorgemedizin, die ganzheitlich ausgerichtet ist. Dazu müssen wir Menschen sehr früh abholen, eigentlich vor ihrer Zeugung. Sodass Eltern ihrem Kind einen Lebensweg vorgeben, der in Richtung Gesundheit geht.

Was kann auf psychischer Ebene getan werden, um immun-fit zu sein?

Soziale Beziehungen sind unser Immunbooster schlechthin. Zum Beispiel ist es wichtig, auf soziale Diversität zu achten – ein weites Netzwerk an Beziehungen zu haben, zu Menschen, die verschiedenen Gruppen angehören. Es wurde in Studien erwiesen: Soziale Diversität und Unterstützung stärken das Immunsystem und verringern das Infektionsrisiko. Langfristig müssen wir auf ein Miteinander mit Viren aus sein – indem wir uns sozial und damit auch immunologisch stärken.