Viele kennen mich als die, die aus dem nördlichsten Zipfel des Waldviertels kommt. Das mag stimmen – aber nicht ganz. Denn geboren wurde ich in Wien, wo beide Eltern beruflich sehr eingespannt waren. Meine Mutter arbeitete im Betrieb ihres Vaters, in der Firma Kügele, „Raumausstattung mit Profil“, die heute von meinem älteren Bruder geleitet wird. Mein Vater hatte sich gerade selbstständig gemacht. Die Eltern hatten versucht, meine Oma aus dem Waldviertel nach Wien zu lotsen. Aber sie hat die Stadt nicht so gut vertragen, also übersiedelten wir, mein Bruder und ich, sehr früh zu ihr nach Haugschlag. Und dort wurde die Oma zu meiner wichtigsten Bezugsperson, speziell während der späteren Scheidung meiner Eltern. Jedes zweite Wochenende holte uns unsere Mutter nach Wien, von Freitag bis Sonntag. Mein Vater kam ebenfalls am Wochenende nach Haugschlag, suchte dort auch nach Jobs, was aber nur für zwei, drei Jahre funktionierte.

Die Oma gab meinem Bruder und mir Geborgenheit. Sie war der einzige Fixpunkt in unserem Leben. Als rundherum alles auseinanderbrach – s i e war immer da. Es war für mich ganz wichtig, dass ein Mensch vor allem physisch, „zum Angreifen“, zum Kuscheln präsent war. Sie hat die Wäsche gewaschen, gekocht und uns geholfen, den Alltag zu bewältigen. Sie war in der Tat ein bewundernswerter Mensch. Ihr Mann kam 1940 und 1941 jeweils auf Heimaturlaub von der Front. Eines Tages kam der Großvater nicht mehr, nur ein Brief – dass er im damaligen Jugoslawien gefallen war. Dann, nach dem Krieg, die Vertreibung aus der Tschechei, weil sie Sudetendeutsche war. Ihr blieb nur eine halbe Stunde, um die Sachen zu packen und mit den Kindern über die Grenze zu flüchten, zu Verwandten, die zwei Kilometer von Haugschlag entfernt wohnten. Dort musste sie sich eine neue Existenz aufbauen, arbeitete auf dem Hof mit, bis sie einen Job in einer Gärtnerei fand. Bis Ende der sechziger Jahre hatte sie genug gespart, um das Haus zu kaufen, in dem mein Bruder und ich aufwuchsen.

Sie war ein Vorbild, eine Überlebenskünstlerin, eine praktisch veranlagte Frau, die aus allem etwas machen konnte. Sie wusste genau, wie man den Alltag anpacken musste, und ich glaube, das habe ich von ihr mitgekriegt. Sie war auch sehr religiös. Durch den erlittenen Schmerz im Krieg, durch den Verlust ihres Mannes hat sie vielleicht versucht, in der Religion den Sinn des Lebens zu finden. Ich war da anders gestrickt und schon sehr früh eine Zweifelnde.

Nina Proll mit ihrem Ehemann Gregor Bloéb. Mit ihm hat sie die beiden Söhne Leopold und Anatol
Nina Proll mit ihrem Ehemann Gregor Bloéb. Mit ihm hat sie die beiden Söhne Leopold und Anatol © APA

Als sie langsam die Kräfte verließen, zog ich mit meinem Bruder zu unserem Vater nach Wien. Als wir 12 und 13 Jahre alt waren, traute sich unser Vater nun zu, mit uns alleine fertigzuwerden. Ich habe ihn wahnsinnig geliebt und hatte das Gefühl, dass er mich vergötterte, dass ich für ihn die Allergrößte war. Ich hab’ auch gespürt, dass ich ihn leicht um den Finger wickeln konnte, doch er ließ nicht alles durchgehen. Er hatte genaue Vorstellungen von dem, was ein Mädchen machen sollte und durfte, und was ein Bub. Das hat mich natürlich geärgert, dass für meinen Bruder andere Regeln gelten sollten als für mich. Aber ich habe bis zu meinem 18. Lebensjahr mitgespielt und meinem Vater nur Freude bereitet.

Berufswunsch Schauspielerin

Bis ich ihm nach der Matura meine Zukunftspläne präsentierte: Berufswunsch Schauspielerin und Ausbildung in der Musicalschule des Theater an der Wien, die monatlich 5.000 Schilling(!) kostete. Anfangs haben mich wohl beide Eltern belächelt. Meine Mutter, die, als ich acht war, meine Halbschwester Nadine geboren hatte, dachte wohl insgeheim: Na, sie soll es probieren, aber irgendwann wird sie doch in die Firma kommen. Und der Vater? Selbst, als ich bereits in Filmen mitwirkte, meinte er: „Ein Studium könntest du schon noch machen.“ Trotzdem haben beide anstandslos meine Ausbildung finanziert und mich zumindest nicht daran gehindert.

Das erste selbst verdiente Geld

Der echte Wendepunkt passierte in meinem ersten Ausbildungsjahr, als ich im Musical „Jesus Christ Superstar“ mitwirkte und mein erstes Geld verdiente. Und im zweiten Schuljahr wirkte ich in einem Film mit Christiane Hörbiger mit. Da wusste ich, dass ich von diesem Beruf leben konnte, und meine Eltern begannen, das, was ich machen wollte, ernst zu nehmen. Von dem Moment an legte ich meine ganze Kraft und Energie in diesen Beruf.

Fünf Staffeln „Vorstadtweiber“ habe ich inzwischen gedreht, und natürlich merke ich, dass mich viele Zuschauer mit der Rolle der Nicoletta identifizieren. Ich versteh das sogar, denn wenn mich mein Vater in diversen TV-Rollen sah, hat er auch – zu seinem Leidwesen – oft geglaubt, dass ich so bin. Warum sollen dann nicht auch andere in diese Falle tappen? Vielleicht versucht man, in gewisse Rollen „Seiten“ von sich selbst reinzubringen, aber in Wirklichkeit sind Nicoletta und ich zwei sehr verschiedene Persönlichkeiten.

Schicksalshafte Begegnung

Die „Anna Fucking Molnar“ im gleichnamigen Film, zu dem ich selbst das Drehbuch schrieb, hat da sicher viel mehr von mir. Also von jener Zeit, als ich noch nicht verheiratet war und keine Kinder hatte. Alles in allem ist es jedoch ein gutes Zeichen, ein Kompliment, wenn einen die Leute mit einer Rolle identifizieren. Denn dann hat man’s gut gespielt. Mein Mann Gregor Bloéb. Ich würde sagen: Eine schicksalshafte Begegnung, denn offensichtlich war es so, dass wir füreinander bestimmt waren, sonst hätten wir wohl nicht unter widrigsten Umständen zueinandergefunden. Kennengelernt hatten wir einander 1999 bei einem „Tatort“-Dreh. Ich habe mich sofort verliebt. Er nicht. Bei ihm hat es erst fünf Jahre später gefunkt, als wir am Volkstheater in einem Brecht-Stück mitwirkten, das „Happy End“ hieß. Bezeichnenderweise.

Ich wusste, dass Gregor bereits zwei Kinder hatte und gebunden war, doch schließlich hat sich alles gefügt. 2006 wurden wir ein Paar. 2008 kam unser Sohn Leopold zur Welt, 2010 der zweite Sohn, Anatol. Mein Wunsch für sie: Sie sollen sich immer geliebt und geborgen fühlen, zu starken und selbstständigen Personen reifen, und nicht nur ich möchte ihnen viel zutrauen, sondern sie sollen sich selbst auch viel zutrauen.