Ängste, Sorgen, angeschlagene Psychen: Der Lockdown hat in den Seelen unserer Kinder deutliche Spuren hinterlassen. Nicht nur die reale Bedrohung einer Ansteckung wiegt nach wie vor schwer. Auch der Vorwurf, „Virenschleudern“ zu sein, oder die Einschränkungen, Freunde oder Verwandte nicht besuchen zu können, bleiben ein Thema.

Leben und lernen auf Distanz: Welche langfristigen Auswirkungen sind zu erwarten?Und wie steht es um das Wohl von sozial schwächer gestellten Kindern? Die endgültige Rechnung wird uns freilich erst am Ende dieser Krise präsentiert werden, erste Folgen lassen sich schon jetzt erahnen. Ärztin und Psychotherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger sagt: „Jene Kinder, die eine Beeinträchtigung haben oder in schwierigen Umständen leben, hat dieser Bruch im Lebensrhythmus, dieser Verlust des sozialen Bezugssystems Schule und der Freunde, stärker getroffen.“ Was die Expertin beobachtet: Zum Beispiel Kinder, die gewisse Ängste entwickelt haben. Selbst beim gesunden Durchschnittskind gebe es eine „gewisse Alarmiertheit“.

Zu abrupt war der Umstieg auf das Homeschooling. Die Folgen? Der Verlust wesentlicher Kontakte, kein Austausch mit Lehrern, Mitschülern und Freunden – also genau das, was gerade im Hinblick auf die psychosoziale Gesundheit wichtig ist. Denn: „Die Schule ist mehr als eine Akademisierungsanstalt. Sie ist der soziale Lebens- und Schleifraum unserer nächsten Generation“, sagt Leibovici-Mühlberger. Kurz: ein Ort, wo sich „Haltung und Betriebskultur unserer Gesellschaft entwickeln“. Für die Expertin Grund genug, so viele Ressourcen wie möglich in diesen „Lebensraum Schule“ zu stecken.

Dass die Schule weit mehr als ein Ort der Wissensvermittlung ist, glaubt auch Lehrergewerkschafter Paul Kimberger: „Man hat schmerzhaft bemerkt, was fehlt, wenn Schule nicht mehr stattfindet.“ Homeschooling könne für ihn „nur eine Übergangslösung sein“. Schule sei ein soziales Gefüge, in dem es neben Wissen auch um Freundschaft, Kontakte und analoge Kommunikation ginge.

Wie es denen geht, über die alle reden – also den Kindern und Jugendlichen –, fasst Bundesschulsprecherin Jennifer Uzodike zusammen: „Derzeit sind alle froh, dass sie wieder in die Schule gehen können, dass eine Art Normalität zurückkehrt.“ Spätestens im Herbst bei Normalbetrieb sehe man, wo es Versäumnisse gegeben hat. Und diese gab es, ohne Zweifel.

Immer wieder fällt ein Schlagwort: Digitalisierung. Ein Thema, „das sehr spät wahrgenommen wurde“, kritisiert Uzodike. Einige Schülerinnen und Schüler hätten keine digitalen Endgeräte zu Hause gehabt. Erst drei Wochen nach dem Lockdown hätte man reagiert.

Erste Schritte in Richtung Digitalisierung hat Bildungsminister Heinz Faßmann diese Woche gesetzt. Schüler der ersten Klassen an AHS-Unterstufen und NMS sollen ab 2021/22 schrittweise Laptops bzw. Tablets erhalten – konkrete Digitalisierungskonzepte der Schulen vorausgesetzt.

Ob diese Lehren aus der Krise versöhnlich stimmen? „Das Positive ist, dass die Digitalisierung in ein anderes Licht gerückt wurde und niemand mehr Angst davor hat“, sagt die Bundesschulsprecherin. Sie blickt optimistisch Richtung Herbst. Für den Fall eines zweiten Lockdowns sei man besser gerüstet.

Dass es Nachholbedarf gibt, sieht auch Kimberger: „Wir brauchen auf alle Fälle einen deutlichen Schub an Innovationen im digitalen Bereich.“ Er fordert bessere Ausrüstung und Infrastrukturen. Noch mehr nötig sei bei kleineren Kindern – gerade im Hinblick auf Beziehungsarbeit. Diese sei über den digitalen Weg nur sehr eingeschränkt möglich.

Was der Herbst bringt, hängt auch davon ab, wie sich die Coronazahlen entwickeln. „Was wir machen müssen, ist, die Schule auf jede Situation gut vorzubereiten“, sagt Leibovici-Mühlberger. An manchen Schulen hätte das großartig geklappt. Andere schafften den Spagat nicht: „Manche Schüler sind ohne Kontakte zu Lehrern und Mitschülern alleine zu Hause gesessen.“ Auch sie pocht auf eine Digitalisierung für alle und darauf, mit den Kindern in Kontakt zu bleiben. Damit die Krise am Ende auch wirklich zur viel zitierten Chance wird.

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