Valentins Mutter ist beunruhigt. Zwei Wochen vor Schulbeginn ist der Sechsjährige wie verwandelt. Der Bub ist aggressiv, schlecht gelaunt und trotzig. Eines morgens liegt er mit 39,6 Grad Fieber im Bett. Plötzlich schießt ihr ein Gedanke durch den Kopf: Ihr Sohn hat so große Angst vor der Schule, dass sie ihn krank macht.

Wie Valentin geht es vielen Kindern, die in eine neue Klasse oder in eine neue Schule kommen. Sie haben Angst. Doch wovor genau? Valentin kennt die Schule bereits, er kennt seine neue Lehrerin, kommt mit seinen beiden besten Freunden in die Klasse und kann schon schreiben und lesen.

Angst ist Stress

„Das Gefühl der Angst ist dem Menschen eingepflanzt“, weiß die Psychotherapeutin Ursula Grohs. Angst ist Stress - und eine bevorstehende unbekannte Situation schürt Urängste: „Nimmt mich das Rudel auf?“ Einschlafstörungen, Wesensveränderungen, Bauch- und Kopfschmerzen aus Schulangst sind so weit normal.

Wenn die Angst aber zu Fieberschüben führt, dann dauert der Stress bereits lange an, „dann brennen die Zellen bereits“. Spätestens dann sollte gezielt gehandelt werden. „Das Wichtigste ist, Sicherheit auszustrahlen und dem Kind Worte zu geben.“ Ist die Ursache für die Angst benannt, braucht es einfühlsame Begleitung durch die Bezugsperson - körperlich und seelisch. Grohs: „Beruhigende Düfte wie Vanille, Zitrone, Rose oder Lavendel helfen. Kräutertees mit Melisse, Johanniskraut oder Salbei wirken gut.“

Viel kuscheln, viel reden

Wer der Homöopathie oder Naturheilkunde vertraut, kann Globuli oder Bachblüten geben. Auch das Vorlesen eines Kinderbuchs zum Thema Schulbeginn kann helfen. Wichtig: Stress wie Streit oder Diskussionen sollen vermieden werden. „Viel kuscheln, viel reden“, rät der Kinder- und Jugendpsychiater Christoph Göttl. Die Hand auf den schmerzenden Bauch legen, einen beruhigenden Kräutertee anbieten mit den stärkenden Worten: „Der wird dich beruhigen“, das Kind in den Arm nehmen und festhalten - das sind kleine Gesten, die Wunder bewirken können. Die Angst ist eine Frage des Kindes - die Antwort muss lauten: „Du schaffst das.“ 90 Prozent beruhigen, zehn Prozent Mut machen.

„Hilfreich kann sein, dem Kind in die Schule einen Gegenstand mitzugeben, der für die Bindung steht“, betont Göttl. Ein Haarband der Mutter als Armband getragen, ein Stofftier oder ein Tuch, das nach Mama oder Papa riecht. Göttl: „Ist der Gegenstand der richtige, kann er sehr mächtig sein.“

Auch das Kind an ähnliche Erlebnisse zu erinnern, kann ihm guttun. „Weißt du noch, wie du dich davor gefürchtet hast, im tiefen Wasser zu schwimmen? Dann hast du dich getraut, und jetzt macht es dir Spaß.“ Befolgt man die Tipps, kann diese schwierige Phase ein wertvolles Erlebnis sein, das Bindung und Vertrauen stärkt und aus dem ängstlichen Erstklässler ein fröhliches Schulkind macht. Externe Hilfe sollte allerdings gesucht werden, wenn die Eltern angesichts der Situation hilflos sind.

Nachdem Valentin vier Abende von Weinkrämpfen geplagt wurde, die Mutter viel mit ihm geredet und gekuschelt hat, Kräutertees serviert und mit ihm eine kleine Kette gebastelt hat, verläuft der fünfte Abend entspannt. Dem Schulbeginn blickt Valentin gestärkt entgegen. Mission geglückt.