Mein Baumhaus war mein allerliebstes Reich, mein zum Träumen erkorener Rückzugsort, meine uneinnehmbare Burg. Ich habe es geliebt, es selbst gestalten zu können. Wie mein Papiertheater. Mein Großvater hat jede Woche eines mit mir gebaut: mit Schnürboden und Versenkung und der gesamten Technik. Mit meinen Hobbys war ich zwar immer ein gewisser Außenseiter, aber ich liebte diese dennoch zutiefst. Mit neun oder zehn Jahren war ich auch etwas dicklicher, nicht sehr, aber ich bin verspottet worden. Das war für mich ganz furchtbar und grässlich. Ich hatte zudem Angst vor fliegenden Bällen – bis heute. Sport war nicht meines und ich war nie der Supercoole. Das nicht selbst erwählte Außenseitertum war nicht wirklich angenehm, aber rückblickend sage ich, das gehört alles dazu und prägt mich bis heute, es hat mich auch zudem gemacht, was ich heute bin.

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Als Kind war ich schon ein kleiner Spinner. Ich habe den Slogan „Spinner sind Gewinner“ und sage auch heute jedem: „Trau dich, das zu sein, was du willst!“ Diese, meine Fantasiewelten, in die ich mich damals zurückgezogen habe, sind großartige Welten, die mir später dabei geholfen haben, das zu kreieren, was ich erfunden habe. Ich war durch die damaligen Umstände immer eher der Einzelgänger und intensiv mit mir und meinen imaginären Welten beschäftigt. Heute glaube ich, dass ich deshalb auch so viel über Freundschaft schreibe, weil ich sie mir in meiner Kindheit und Jugend sehr stark gewünscht hätte.


Zu dem Kind, das ich einmal war, habe ich einen sehr klaren und guten Zugang. Ich erinnere mich an die reichhaltigen Freuden meiner Kindheit, an die verbindenden Sonntagsfrühstücke mit meiner Familie, an das träumerische Wochenendhaus meiner Eltern in einem riesigen Park, wo man geschützt mit den Fahrrädern wild herumfahren konnte. Dort ist auch Tom Turbo entstanden, ein Idol für Generationen von Kindern – bis heute. Ich erinnere mich an meine wunderbare Kinderfrau, die jeden Donnerstag die „Neue Romanzeitung“ mitgebracht hat, mir ständig tolle Artikel und Geschichten daraus vorgelesen hat.

Ich erinnere mich aber auch an die einen oder anderen, vor allem seelischen Schmerzen. Ich habe mich später als Erwachsener damit intensiv auseinandergesetzt, die Verletzungen, die mir als Kind zugefügt worden sind, zu heilen.

Welche Werte meinen Eltern wichtig waren


Meine Eltern waren zutiefst überzeugte Philanthropen und Humanisten. Der Mensch und dessen Wohl standen für sie stets an erster Stelle, nicht nur in der Arztordination meines Vaters, in der auch meine Mutter gearbeitet hat, sondern in jeder Minute ihres Lebens.

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Sie waren außerdem sehr naturverbunden, vor allem meine Mutter. Sie hat jede Blume benennen können. Einer der wichtigsten Werte, die sie mir und meinem Bruder vermitteln wollten – und auch haben – war eine ehrliche Weltoffenheit. Ausgrenzung gab es für sie so überhaupt nicht. Und natürlich gaben sie uns und ihnen selbst viel Liebe – sie haben einander zutiefst geliebt und auch uns Kinder ihre tiefe und innige Liebe zu sich und uns spüren lassen. Das haben sie oftmals ausgedrückt und zwanglos gezeigt.

"Hohe Sprechkultur"

Man durfte alles tun, nur eines nicht: sie anlügen. Gewaltfreiheit war ihnen auch wichtig. Und eine hohe Sprechkultur miteinander und mit anderen Menschen, also dass man sich gut und gewählt ausdrücken kann und man wirklich offen und ehrlich miteinander redet.
Meine Mutter war leidenschaftliche Pianistin und Musikpädagogin. Mein Vater war Radiologe mit jeder Faser seines Herzens, er hat aber auch die Kunst geliebt und mich schon als Fünfjährigen in tolle zeitgenössische Ausstellungen mitgenommen.

Das Schöne daran war, er hat seine Freude und Begeisterung mit mir geteilt, aber mich nie darüber belehrt.


Meine Eltern waren aber auch sehr dominant. Eine Zeit lang sind sie mir fast schon absolut perfekt erschienen. Ich hatte diese klassische Pubertät zwischen 13 und 16 Jahren nicht, aber nach der Matura habe ich begonnen, mich abzusetzen und abzutrennen. Ich wollte mich finden, weil sie mir einfach zu groß waren. Ich bin sehr früh ausgezogen, um eine gewisse Distanz zwischen uns zu bringen, weil ich meine Ruhe haben wollte. Das war für meine Eltern klarerweise anfänglich nicht so angenehm.

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Ich war damals 18, 19 Jahre alt, als ich ihnen mitgeteilt hatte, dass ich homosexuell bin. Meine Mutter hat im ersten Moment gar nicht gut darauf reagiert. Das war einer der Gründe, warum ich mich absentiert habe. Ich hatte damals einen sympathischen Mann kennengelernt, mich längere Zeit nicht gemeldet. Meine Mutter hat mich bald über Freunde gefunden, angerufen und gesagt: „Warum meldest du dich nicht?“ Ich antwortete: „Weil ich glücklich bin und mir dieses Glück nicht ankratzen lasse.“


Sie war aber viel zu klug und hat wohl schon vor dem Anruf kapiert, dass sie bei mir anders denken muss. Es war aber auch schwierig für mich, weil ich sonst gar nicht so viel zu kritisieren hatte an ihnen. In der Zeit habe ich mich mit engen Freunden meiner Eltern getroffen. Sie haben mir ein bisschen die Augen geöffnet, dass meine Eltern auch nur Menschen sind und einfach selbst mit sich ins Klare kommen mussten. Ich brauchte selbst überdies Zeit, um mich zu behaupten.


Mit meinem Vater habe ich immer leidenschaftlich diskutiert, denn ihm hat, in seiner durchaus beeindruckenden Dominanz, niemand Kontra gegeben. Wir haben ab und zu so heftig gestritten, dass meine Mutter das Zimmer verlassen hat. Aber er hat es absolut geliebt. Ich denke, das hat uns immens näher zusammengebracht und nicht weiter auseinander.
Das Verhältnis zu meinen Eltern hat sich später, mit 22 Jahren, wesentlich verbessert. Meine Eltern sind bis zu ihrem Tod wirklich die besten Freunde und Kameraden, aber auch ein inniges Liebespaar gewesen. Und sie waren auch für mich die engsten Vertrauten und wahre Freunde – mein Vater ganz besonders. Er war eigentlich mein engster Freund und bester Berater. Mit 76 Jahren ist er leider viel zu früh gestorben und es hat vier Menschen gebraucht, die all diese Funktionen, die er hatte, zu übernehmen.


Sie beide waren neugierig und haben bis zum letzten Atemzug gelernt und waren allem Neuen stets total aufgeschlossen. Das rechne ich ihnen ganz hoch an.