Mitunter würden "die in teilweise alarmierender Weise dargestellten Berechnungen" als Argument für neuerliche Schulschließungen genutzt, solch weitreichende Entscheidungen dürften allerdings nur auf Basis korrekter und aktueller Zahlen getroffen werden, so das Plädoyer der  Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ).

Angesichts der extrem hohen Sieben-Tages-Inzidenzen bei Kindern und Jugendlichen (laut AGES über 1900 bei den Fünf- bis 14-Jährigen gegenüber rund 894 in der Gesamtbevölkerung) waren zuletzt vermehrt Forderungen nach einer Schließung der Schulen und Kindergärten laut geworden. Diese Zahl sei jedoch nicht gleichzusetzen mit der Zahl erkrankter Kinder und sollte per se nicht Grundlage für einschränkende Maßnahmen sein, betont die ÖGKJ. Zwar sei die Zahl der täglichen Positiv-Testungen bei den Fünf- bis 14-Jährigen zu Beginn des aktuellen Lockdowns mit 2600 zweifelsfrei eine (unerwünscht) hohe Zahl. Es handle sich dabei aber lediglich um drei Promille der Altersgruppe. Wie eine Studie von AGES, ÖGKJ und Medizin-Uni Graz gezeigt hat, hätten außerdem nur 60 Prozent der detektierten Kinder und Jugendlichen in den ersten beiden Wellen Symptome entwickelt. Durch die derzeitigen regelmäßigen Schul-Screenings sei davon auszugehen, dass nun noch wesentlich mehr Infektionen entdeckt werden, die asymptomatisch verlaufen.

Im Spital sind 380 von 66.285 bis 30. September entdeckten Fällen dieser Altersgruppe gelandet, 218 davon mit der Hauptdiagnose SARS-CoV-2-Infektion. Das entspreche einer Hospitalisierungsrate von 0,6 Prozent (bzw. 0,3 Prozent bei der Hauptdiagnose). Derzeit scheine die Hospitalisierungsrate noch geringer zu sein. Mit dem selten auftretenden Hyperinflammationssyndrom wurden laut ÖGKJ zwischen Februar 2020 und Jänner 2021 in den österreichischen Kinderabteilungen 51 junge Patientinnen und Patienten behandelt, das ist eines von 1000 Kindern und Jugendlichen mit positivem PCR-Test in diesem Zeitraum. Allerdings sei derzeit wegen der durch die vielen Tests nun geringen Dunkelziffer von einem geringeren Anteil auszugehen. Daten aus den USA würden außerdem nahelegen, dass das Syndrom bei der vorherrschenden Delta-Variante seltener auftrete.

Keine Daten legt die ÖGKJ zu "Long-Covid" vor, eine Langzeitfolge, die sich etwa durch Müdigkeit, Erschöpfung, Kopf- und Brustschmerzen, Fieber und Angststörungen äußern kann.

"Es liegt uns fern, SARS-CoV-2-Infektionen und deren Komplikationen bei Kindern und Jugendlichen zu verharmlosen", betonen die Kinderärzte. Sie treten auch dafür ein, Infektionen durch vertretbare nicht-pharmazeutische Maßnahmen (Testen, Masken ...) und vor allem die Impfungen zu verhindern. "Gleichzeitig fordern wir aber eine Fakten-basierte Darstellung der Situation infizierter und erkrankter Kinder, wie sie sich in den epidemiologischen Daten, v.a. aber auch an den Kinder- und Jugendabteilungen und -Ordinationen zeigt. Modellrechnungen können eine derartige Realbeobachtung nicht ersetzen." Die auf Schulschließungen und Isolation zurückzuführenden psychosozialen, psychosomatischen, psychiatrischen und bestimmten somatischen Probleme würden teilweise schwerer wiegen als die durch die Infektion direkt ausgelöste "virologische" Krankheitslast. Auch international werde der epidemiologische Nutzen von Schulschließungen infrage gestellt, weshalb mittlerweile die meisten Länder wegen der negativen Effekte - sogar ohne Routine-Screeningprogramme - davon Abstand nehmen würden. Gleichzeitig seien die Auswirkungen von Schulschließungen auf die Mobilität der betreuenden Eltern gegenüber dem ersten Lockdown stark rückläufig und ein Verbot des Schulbesuchs, um Bewegungen und Kontakte Erwachsener einzuschränken, "ethisch nicht vertretbar".