Der Partner, der fremdgeht, die Arbeitskollegin, die trotz Symptomen im Büro auftaucht und eine Ansteckung der Kollegen riskiert, und die Mutter, die die geliebte Katze ohne Vorankündigung weggibt: Die Palette der Möglichkeiten, wie Menschen sich gegenseitig verletzten können, ist groß. Und ist der Schaden erst angerichtet, stellt sich immer die gleiche Frage: Kann ich diesem Menschen das verzeihen?

Auch Philosophin Susanne Boshammer ist sich sicher, dass Verzeihen eine zentrale Rolle im Leben spielt: „Die Frage nach Vergebung beschäftigt uns alle – das beginnt schon beim kleinen Unrecht, das man selbst erfährt oder tut.“ Denn niemand sei davor gefeit auch einmal derjenige zu sein, der den Schaden anrichtet.

Was kann man also tun, wenn man jemanden über die Maße verletzt hat? „Als Täter kann ich aufrichtig um Verzeihung bitten. Darin sollte die wichtige Aussage liegen: Ich bereue es und werde es nicht wiederholen. Das fällt oft aus verständlichem Grund schwer: Immerhin bitte ich denjenigen, den ich verletzt habe, nun auch noch darum, mir etwas Gutes zu tun, indem er die Schuld von mir nimmt“, so die Philosophin.

Für die Verletzten ist es zentral zu bemerken, dass sich bei ihrem Gegenüber etwas verändert hat und das dieser Mensch erneutes Vertrauen verdient. Dabei ist auch der Zeitpunkt der Entschuldigung wichtig: „Je länger man getrennte Wege geht, desto schwerer wird es, die Brücke zu überwinden und wieder zusammenzufinden.“


Ob verziehen wird, könne nur das Opfer entscheiden: „Vergeben ist ein Vorrecht des Verletzten. Dabei geht es auch um Autorität“, erklärt Boshammer. Denn durch das Unrecht kommt es zu einer Abwertung einer beteiligten Person. Diese bekommt durch die Bitte um Verzeihung die Zügel zurück in die Hand und hat die Möglichkeit, sich aus der Ohnmacht zu befreien.

Zu vergeben ist also nicht nur eine Wohltat für den Täter: „Aus psychologischer Sicht ist klar dokumentiert, dass Verzeihen Menschen hilft, aus ihrer Opferrolle herauszukommen und unschöne Dinge hinter sich zu lassen. Denn Groll hat auch etwas stark Belastetendes. Lassen wir ihn hinter uns, bekommen wir Seelenruhe zurück“, sagt Boshammer.

Einen allgemeinen Ratschlag für Opfer gebe es aber nicht. Die Frage, ob verziehen wird, ist so individuell, dass ein Pauschalurteil unmöglich ist. „Es gibt meiner Meinung nach nichts Unverzeihliches. Das zeigt auch die Geschichte: Es gibt Menschen, die haben die Grauen von Auschwitz verziehen“, so die Philosophin. Eine moralische Pflicht, nachzugeben, bedeute das aber keineswegs: Denn in manchen Situationen könne es für die Selbstachtung des Opfers wichtig sein, den anderen Weg zu gehen und nicht nachzugeben. Das betreffe vor allem Wiederholungstäter: „Wird man immer wieder verletzt, ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem es zum Selbstschutz wichtig sein kann, eine klare Grenze zu ziehen.“