Martin Moder ist Molekularbiologe und Teil der Science Busters, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, wissenschaftliche Zusammenhänge zu erklären, faktisch richtig und nicht fad. Seit 2020 betreibt Moder mit zwei Kolleginnen auch den Youtube-Channel MEGA - das steht für "Make Europa gescheit again". Aktuell widmet er sich vor allem der Corona-Aufklärung, der Clip "Warum die RNA-Impfung dein Erbgut nicht verändert" hält Anfang März bei knapp 480.000 Views. 

Wir erleben, dass sich medizinisches Personal nicht mit einem bestimmten Impfstoff impfen lassen möchte. Was läuft falsch in der wissenschaftlichen Kommunikation in Zeiten von Corona?
Martin Moder: Ich würde nicht sagen, dass etwas falsch läuft. Es ist ein Problem, mit dem wir gerechnet haben. Es ist logisch, dass nicht jeder Impfstoff die gleiche Wirksamkeit haben kann. Der Nachteil einer besonders guten Situation war, dass die ersten beiden Impfstoffe so eine unfassbar hohe Wirksamkeit hatten. Alles, was danach kommt, wirkt wie ein Impfstoff zweiter Klasse. Aber man muss sich fragen, was ist das Ziel dieser Impfstoffe? Das Ziel ist, dass möglichst viele Menschen geimpft werden, sodass sie, sollten sie erkranken, keinen schweren Verlauf haben. Das bedeutet, dass sie eine Erkältung oder Fieber bekommen, aber dass sie nicht hospitalisiert werden müssen, weil das ist es, was das Gesundheitssystem kollabieren lässt. Im Moment sieht es danach aus, als würden alle Impfstoffe, die aktuell zugelassen sind, dieses Ziel erreichen – inklusive des AstraZeneca-Impfstoffs.

Braucht es in der Kommunikation mehr Expert_innen, Wissenschaftler_innen? Vergleicht man etwa Deutschland und Österreich, wurde im Verlauf des letzten Jahres mit der Bevölkerung sehr unterschiedlich kommuniziert.  
Ich sehe das Problem nicht darin, dass wir zu wenige Wissenschaftler in den Medien hätten. Ich sehe das Problem darin, dass wir viele Leute in den Medien haben, die so tun, als würden sie die Position der Wissenschaft vertreten, das aber nicht tun. Ich denke, da an Personen wie Sucharid Bakhti, die Dinge von sich geben, die wahnsinnig viele Leute verunsichert. Es gibt zu viele Personen, die mit sehr selektiver Information in die Irre führen.

Welche Fehler macht der Journalismus, machen wir als Journalisten in der Corona-Berichterstattung?
Ich als Wissenschaftler sehe gern weniger Positionierungen und mehr ausführlichere Aufklärung. Ich hätte gern, dass wenn ein neuer Impfstoff auf den Markt kommt bzw. in Europa zugelassen wird, etwa Johnson&Johnson, dass ich mich darauf verlassen kann, dass die meisten Leute, ob sie es wollen oder nicht, gehört haben, was dieser Impfstoff ist, wie er funktioniert und im Idealfall ein paar der Fragen, die sich aufdrängen, bereits beantwortet wissen.

Welche Fragen sollten das sein?
Was ist ein Vektorimpfstoff? Warum nimmt man da einen Virus von einem Schimpansen? Kann das meine DNA verändern? Das hätte ich gern öfter beantwortet, als diese häufigen Positionierungen: „Lassen wir uns alle impfen.“ Das ist super, und das gehört auch gemacht. Aber ich habe das Gefühl, gerade in Österreich, viel mehr als in Deutschland, liegt der Schwerpunkt auf Bewerben anstelle von erklären.

Unveröffentlichte Studien, pre print, peer review – Corona hat auch die Besonderheiten des wissenschaftlichen Diskurses in die breite Öffentlichkeit gebracht. Wie kann man diese einem Laien erklären?
Normalerweise hören wir die wissenschaftlichen Ergebnisse, wenn 30 Forschergruppen zehn Jahre lang daran gearbeitet haben. Jetzt sehen wir jedes Zwischenergebnis, das richtig sein kann oder auch nicht am nächsten Tag in allen großen Zeitungen. Vor dem sogenannten Peer-Review, also bevor die Fachgemeinschaft Daten bzw. eine Studie bewertet hat. Und das ist etwas, wo Medien vorsichtig sein sollten: Man muss darüber berichten, aber man muss klar darstellen, dass wir uns mitten in einem Entwicklungsprozess befinden. Und diesen erklären. Denn ich bin überzeugt, würde ich auf die Straße gehen und fragen: Was bedeutet denn eine Wirksamkeit von 60 Prozent?, die wenigsten Menschen würden wirklich wissen, was diese Zahl bedeutet.

Wieso ist es so schwierig mit Fakten durchzukommen? Stichwort Nebenwirkungen oder Wirksamkeit?
Es ist sicher eine besonders angespannte Situation. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass es schwierig ist durchzukommen, ich habe eher das Gefühl, dass diese Themen wahnsinnig komplex sind und das kann verunsichern. Ein Beispiel: Ich kriege ein Angebot für eine Impfung. Und dann lese ich: Zehn Leute sind nach der Impfung gestorben. Wie soll ich das einordnen? Da braucht es Menschen, die das gut erklären können. Oft bleibt aber nur die Anekdote über: Der Nachbar meiner Oma hat die Impfung bekommen, vier Tage später war er tot. Natürlich muss man solchen Dingen nachgehen und das tut man auch, deswegen gibt es bei der Impfstoffentwicklung die Phase 4. Aber bei diesen Themen hängt die Rationalität der Emotionalität und der Angst hinterher. Angst ist so viel stärker als rationale Überlegungen.

Das deutsche Robert-Koch-Institut und ebenso wie die deutsche Wissenschaftsjournalistin des letzten Jahres, Mai Thi Nguyen-Kim haben Ihre Videos empfohlen. Wie viel Arbeit steckt hinter den Youtube-Videos?
Das kommt sehr auf das Thema an. Über 90 Prozent der Arbeit ist das Recherchieren und das Lesen der Studien. Dann schreibe ich ein Script, dauert meistens ein, zwei Tage. An einem Tag filme, schneide und lade ich hoch. Aber der eigentliche Ritterschlag war als Attila Hildmann in seiner Telegramm-Gruppe persönlich dazu aufgerufen hat, meine Videos downzuvoten. Wenn Verschwörungstheoretiker hinter dir her sind, dann weißt du, dass du etwas richtig gemacht hast.

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