Sie sind seit einem Unfall auf Ihrer Maturareise vor 25 Jahren auf den Rollstuhl angewiesen. Das hat Sie nicht daran gehindert, erfolgreicher Unternehmer und glücklicher Familienvater zu werden. Wenn es um Resilienz, also um psychische Widerstandskraft geht, sind Sie also sicher ein Fortgeschrittener. Trotzdem haben Sie Ihrer Biografie „Wie ich lernte, Plan B zu lieben“ den Untertitel „Resilienz für Anfänger“ gegeben. Wieso das?
GREGOR DEMBLIN: Ich wurde in meinem Leben schon oft zu Vorträgen eingeladen, in denen Wissenschaftler das Thema Resilienz theoretisch erklärt haben. Ich war dabei immer das Praxisbeispiel. Das Einzige, was ich zu diesen Vorträgen beisteuern konnte und kann, ist meine Erfahrung, dass alles nicht so schlimm wird, wie man es sich vorstellen würde. Damit konnten die Zuhörer immer mehr anfangen als mit der Theorie. Das ist einer der Gründe, warum ich dieses Buch geschrieben habe: Ich hoffe, Menschen in ihrer Angst vor Unbekanntem und Veränderung helfen zu können.

Gregor Demblin ist regelmäßig Keynote Speaker auf internationalen Konferenzen
Gregor Demblin ist regelmäßig Keynote Speaker auf internationalen Konferenzen © Myability


Sie sind in Ihrem Leben allerdings auch nie in Depressionen verfallen. Das ist eine Fähigkeit, die man nicht lernen kann. Das ist wohl eher eine Gnade.
GREGOR DEMBLIN: Ja, ich hatte viel Glück. Es wäre aber vermessen, zu sagen, ich sei nie verzweifelt gewesen. Die Verzweiflung im Krankenhaus nach meinem Unfall war riesig. Ich weiß nicht, wie viele Tage und Nächte ich durchgeheult habe. Ich habe allerdings versucht, das schnell hinter mir zu lassen, und hatte da den Vorteil, dass mir das wohl leichtergefallen ist als anderen. Meine tiefe Überzeugung ist, dass sich das Leben auch in ganz schwierigen Phasen auszahlt. Immer wieder haben mir Menschen gesagt, sie hätten schon so viel über Depression gelesen, aber bei mir hätten sie endlich etwas Greifbares gefunden, das Mut macht. Da denke ich mir, die Botschaft kommt an.

Ihre Botschaft ist: Damit Unglück zu Glück wird, damit man gestärkt aus einer Krise hervorgeht, braucht es eine Kehrtwende, den Abschied von gescheiterten oder überholten Lebensentwürfen, einen Plan B fürs Leben. Wie schafft man diesen radikalen Schnitt?
GREGOR DEMBLIN: Vor allem braucht es Mut und Ehrlichkeit. Das war anfangs ja auch mein Problem: Ich habe lange verzweifelt an Plan A festgehalten und wollte wieder gehen lernen. Ich habe völlig verdrängt, dass das nicht funktionieren wird. Das ist wahrscheinlich die Analogie für viele Menschen, die jetzt während der Pandemie gerade Angst um ihre Existenz haben. Man klammert sich an seinem alten Leben fest, solange es geht. Meine Erfahrung war: In dem Moment, in dem ich gezwungen war, der Realität ins Auge zu sehen und zu erkennen, dass aus Plan A nichts mehr wird, dass ich ein Leben lang im Rollstuhl sitzen werde, hatte ich erst die Chance, mich für neue Dinge zu öffnen.

Ihr persönlicher Schlüsselmoment?
GREGOR DEMBLIN: Ich weiß noch ganz genau, wie ich im Weißen Hof, im Rehazentrum, gesessen bin und mir dachte: ,Okay, wenn das jetzt wirklich so ist und ich in den sauren Apfel beißen muss, dann will ich nur noch Dinge machen, die mir Freude machen, und ich will alles erleben, was man auf dieser Welt erleben kann.‘ Damals dachte ich freilich gleichzeitig, dass das im Rollstuhl nicht viel sein kann, maximal ein paar Sportarten. Mit der Zeit habe ich aber gelernt, dass fast alles möglich ist, vielleicht anders – man muss viel improvisieren und anpassen – aber vieles ist trotzdem möglich. Ich habe in meinem Leben mehr verwirklicht als viele meiner Freunde, die nicht im Rollstuhl sitzen. Das alles wurde aber erst dadurch möglich, dass ich mein Schicksal akzeptiere und nach vorne schaue.

Das gelingt an allen Tagen gleich gut?
GREGOR DEMBLIN: Nein. Ich frage mich ständig, wie mein ideales Leben aussehen würde, und merke dann, dass die Dinge nicht so sind, wie sie in einer perfekten Welt wären. Dann überlege ich, wie ich etwas ändern kann. Das ist etwas, das man nicht nur einmal macht, das ist laufende Arbeit.

Wie weit setzt dabei auch Ihnen die Pandemie mit all ihren unerfreulichen Begleiterscheinungen zu?
GREGOR DEMBLIN: Ich muss zugeben, dass ich selber große Angst habe, mir das Virus zu holen. Die Ärzte haben mir klar gesagt, dass das mit meiner eingeschränkten Lungenfunktion fatal wäre. Aber ich versuche das immer zu relativieren, indem ich mir etwa sage, dass ich selbst schon Dinge erlebt habe, die hundertmal schlimmer waren als das, was wir jetzt gerade durchmachen. Oder ich denke an die Generation meiner Großeltern nach dem Krieg: Dann ist es dermaßen absurd, über die derzeitige Situation zu jammern. Ich glaube, dass Angst ein Thema ist, das man stark relativieren muss: Uns muss klar sein, dass es uns auch im ärgsten Lockdown besser geht als einem großen Teil der Weltbevölkerung, die nicht weiß, wo sie das Essen für den nächsten Tag herbekommen soll.

Krisen sind also eine Art Kalibrierung, um das eigene Leben besser einschätzen zu können?
GREGOR DEMBLIN: Ja, wenn es einem immer nur gut geht, weiß man das nie wirklich zu schätzen. Das Positive an Krisen ist, dass einem die kleinen Dinge, die man sonst kaum beachtet, sehr wertvoll werden und sie einen sehr glücklich machen.

Sie sagen heute von sich, Sie hätten das glücklichste Leben, das man haben kann, und würden mit niemandem tauschen wollen. Klingt hier Demut an?
GREGOR DEMBLIN: Ich kann das sagen, weil ich so tief unten war. Weil ich erfahren habe, wie schlecht es einem gehen kann. Das macht mich zutiefst dankbar. Je schwieriger es ist, ein Ziel zu erreichen, desto glücklicher macht es uns, wenn wir dort sind. Ich habe in meinem Leben unzählige Male gehört: „Das geht nicht.“ Irgendwann habe ich aufgehört, es wahrzunehmen. Heute weiß ich: Es gibt in jeder Situation Chancen, man muss sie nur suchen. Und nutzen. Dazu braucht es freilich Mut.