Beginnen wir sprichwörtlich: Warum können wir manche Menschen nicht riechen?

JOHANNES FRANSELLI: Hier muss man sich Sender und Empfänger ansehen. Einerseits hat jeder Einzelne von uns seinen ganz eigenen Körpergeruch - nur eineiige Zwillinge haben denselben Geruch. Beim Empfänger gelangt die Duftinformation über die Nase ins Gehirn und wird dort in Regionen des Gehirns verarbeitet, die zum limbischen System gehören. Sie sind nicht nur fürs Riechen zuständig, sondern vor allem auch für Gefühle, Emotionen, Gedächtnis, Lernen und die Belohnung. Und das ist die Besonderheit des Geruchssinns.

Inwiefern?

Ist unsere Nase also unser besseres Gedächtnis? Der Geruchssinn funktioniert ja auch wie eine Zeitmaschine. Man riecht einen Duft und wird nicht nur erinnert, sondern sofort in diese Zeit versetzt.

Was Sie da beschreiben, ist der sogenannte Proust-Effekt, der nach dem französischen Schriftsteller Marcel Proust benannt wurde. Er beschreibt in seinem Buch „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, wie dieser Effekt bei ihm durch den Geruch eines Madeleine, das er in Tee taucht, ausgelöst wird. Das ist etwas, das jeder von uns beschreiben kann. Es ist so, dass es einen nicht nur an die Zeit erinnert, sondern richtig zurückversetzt. Es ist ganz intensiv. Das hängt damit zusammen, dass die Riechinformationen in den Gedächtniszentren des Gehirns verarbeitet werden. Der Geruchssinn hat direkten Zugang zu diesen Gedächtniszentren, im Gegensatz zum Hören oder zum Sehen.

Wird das Riechen im Alltag zu sehr vernachlässigt?

15 Prozent der Menschen haben ein Problem mit dem Geruchssinn, fünf Prozent riechen gar nichts. Wenn man mit ihnen spricht, dann hört man schon häufig, dass sie beeinträchtigt sind, weil das Riechen nicht nur für das Wahrnehmen von den Substanzen außerhalb unseres Körpers wichtig ist, sondern auch, wenn wir Lebensmittel im Mund haben. Duftstoffmoleküle aus dem Mundinhalt steigen von hinten über den Rachen in die Nase auf und gelangen so zur Riechschleimhaut. Dieser Prozess spielt die Hauptrolle bei der Wahrnehmung von Aromen. Wenn es zum Beispiel darum geht, eine Ananas von einem Apfel zu unterscheiden. Beide sind süß, aber auch etwas säuerlich. Das, was den Unterschied ausmacht, ist das Aroma, die Duftstoffinformation, die von hinten in die Nase kommt. Wir merken das, wenn wir einen Schnupfen haben. Dann ist die Nase blockiert und auf einmal schmeckt alles nach Karton. Süße und Säure nimmt man zwar immer noch wahr, aber eben nicht mehr die Feinheiten, die Aromen. Das heißt, jedes Mal, wenn wir etwas im Mund haben, riechen wir das.

Sie haben zuvor bereits erwähnt, dass viele Menschen Probleme mit dem Riechen haben. Durch welche Krankheiten leidet oder verschwindet der Geruchsinn?

Die typischen Erkrankungen, die zu einem Verlust des Geruchssinns führen, sind Nasennebenhöhlenentzündungen, chronische Rhinitis oder Polypen. Also alles, das mit der Nase zusammenhängt. Eine Störung des Geruchssinns kann aber auch durch Gehirnerschütterungen oder schwerere Schädelhirntraumata, aber auch durch verschiedene Viruserkrankungen hervorgerufen werden. Manchmal kann es bei älteren Personen sein, dass nach einer starken Grippe der Geruchssinn nicht mehr zurückkehrt. In manchen Fällen weiß man auch gar nicht, wodurch der Verlust des Geruchssinns ausgelöst wurde. Sehr häufig bemerken Menschen mit einer Riechstörung gar nicht, dass sie eine haben. Sie sind aber häufiger von Depressionen betroffen und haben weniger soziale Kontakte.

Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass Alzheimer- und Parkinsonpatienten lange vor den ersten Symptomen der Krankheit der Geruchssinn abhandenkommt. Warum?

Beide Erkrankungen zählen zu den neurodegenerativen Erkrankungen. Hier sterben Neuronen, also Nervenzellen in gewissen Bereichen des Gehirns ab. Forscher haben festgestellt, dass Menschen mit Parkinson oder Demenz zu 95 Prozent der Fälle unter einer Riechstörung leiden. Und dass diese Störungen, den motorischen Störungen bei Parkinson und den kognitiven Störungen von Alzheimer zehn bis 15 Jahre vorausgehen. Die Ursache dafür ist, dass die Degeneration auch in den Riechzentren stattfindet und dort noch früher als in den anderen Zentren. Jetzt könnte man hergehen und alle Menschen untersuchen, ob sie eine Riechstörung haben und damit eine Früherkennung für Alzheimer und Parkinson erreichen. Das Problem ist aber, dass man den Geruchssinn auch aus vielen anderen Gründen verlieren kann. Wir müssen also versuchen, krankheitsspezifische Beeinträchtigungsmuster bei der Riechstörung zu finden. Wenn wir feststellen können, da gibt es eine Beeinträchtigung des Geruchssinns, die typisch ist, dann können wir zehn bis 15 Jahre früher sagen, dass da einmal Parkinson entsteht und Methoden entwickeln, um den Verlauf der Krankheit aufzuhalten oder abzubremsen. Und vielleicht schafft man es auch, das Auftreten der Erkrankung hinauszuzögern.

Manche Menschen können Farben riechen oder Töne schmecken. Wie funktioniert das?

Sie meinen Synästheten. Synästhesie ist keine Erkrankung, sondern eine Kondition, in der Eindrücke in einer Sinnesmodalität in einer anderen Sinnesmodalität wahrgenommen werden. Aber in gewisser Hinsicht sind wir alle Synästheten. Nehmen wir die beiden Fantasiewörter „Zetze“ und „Mumumbu“, hier empfinden wir eines als härter und eines als weicher. Hier verwenden wir dann ja auch Begriffe aus der Tastmodalität, um diese Hörinformation zu beschreiben. Es gibt aber auch ganz extreme Fälle, wo Menschen alle Gerüche mit Farben verbinden oder Formen mit Tönen.