Ich habe die ersten vier Jahre meines Lebens in Ostermiething verbracht. Es gab wenig Verkehr und viel Wald. Es gab auch einen Bach, in dem man als Kind aber nicht ertrinken konnte – da hätte man sich schon echt Mühe geben müssen. Wir haben in einer Werkssiedlung gewohnt. Aber wenn man dort in die Schule hätte gehen müssen, wäre es kompliziert geworden. Die nächste Ortschaft war Riedersbach. Dort gab es eine Tankstelle und einen Lebensmittelhändler, wo man das Mehl noch schauferlweise kaufen konnte. Zum Glück hat meine Mutter meinem Vater gedroht, sich scheiden zu lassen, wenn er sicht nicht in die Nähe einer Stadt versetzen lässt. Meine Eltern sind aber gemeinsam alt geworden und im Vorjahr verstorben. Mein Papa war damals Kraftwerkstechniker in Riegersbach, er hat sich dann nach Linz versetzen lassen.

Wir sind nach Ansfelden übersiedelt, ein Vorort von Linz, und dort bin ich in den Kindergarten gegangen. Da bin ich aber einige Male ausgebrochen, weil ich das Konzept Kindergarten nicht begriffen habe. Da waren die Martina, die Tamara, der Helmut und ich. Wir sind jeden Tag in der Früh, so wie man zur Arbeit geht, hingegangen, haben uns auf denselben Platz gesetzt, haben uns das „Betthupferl“ vom Vorabend im Radio erklärt und wenn das erledigt war, haben wir uns fadisiert.

"Den Weg kannten wir ja"

Wir haben aber immer noch nicht aufgegeben, weil wir gelesen haben, dass Zigarettenstummel Blitze anziehen. Also haben wir eifrig gesammelt und sie im Kindergarten verteilt. Unsere Hoffnung war, dass der Blitz einschlägt, die Hütte abbrennt und wir endlich daheim bleiben können. Kein Schmäh, der Helmut und ich haben in der zweiten Klasse Volksschule wirklich erlebt, dass der leer stehende Kindergarten abgebrannt ist. Schwöre, wir waren unschuldig. Ich habe Helmut vor zehn Jahren das letzte Mal gesehen – er ist heute Informatiker.

Ich war als Kind nicht der Klassenkasperl und ich habe auch keine Schweizerkracher ins Postkastl geschmissen. Es gab Dinge, die mir wichtig waren, und solange ich die machen konnte, war alles in Ordnung. Aber wenn Ungerechtigkeiten passiert sind, bin ich grantig geworden, und das habe ich sehr klar artikuliert. Mein Obrigkeitsdenken war nicht sehr ausgeprägt. Meinen Eltern war vor allem wichtig, dass ich Bitte und Danke sage. Ihnen war aber auch sehr früh klar, dass Bildung wertvoll ist. Mein erstes Buch war: „Der kleine Schneemann“. Das zweite war: „Die kleine Hexe“. Das dritte: „Raumfahrttechnik heute und morgen“. Zu meinem siebenten Geburtstag habe ich „Die Welt von A bis Z“ bekommen, das war ein kleines Lexikon, das ich de facto nach einem halben Jahr auswendig konnte. Mich hat es einfach interessiert.

In der dritten Klasse hatte ich sehr lange eine Mittelohrentzündung. Da habe ich mir am Vormittag immer das Studienprogramm des Bayerischen Rundfunks angeschaut. Das war total lässig. Zu Mittag habe ich der Mama dann erklärt, wie Auge und Ohr funktionieren – das war total super. Im Gymnasium war ich auch einer der ersten, der einen Commodore 64 hatte. Ich habe damit nicht nur gespielt, sondern auch programmiert. Meine Eltern haben gesehen, dass das Zukunftstechnologie ist und dass es Sinn macht, wenn der Bub sich damit beschäftigt. Sie haben mich sehr unterstützt, dafür bin ich ihnen unglaublich dankbar.

Nach der Matura habe ich das Bundesheer in Wien gemacht und seither bin ich hier. Der einzige Grund, nach Ansfelden zurückzukehren, waren meine Eltern. Ich habe einiges in meinem Leben erlebt, manches hat funktioniert, manches nicht, aber meine Eltern 2018 zu verlieren, das war sicher die schrecklichste Erfahrung meines Lebens. Wenn wir alle am Tisch saßen, dann ging es schon durchaus laut zu. Aber es gab nie einen Zweifel daran, dass, wenn es hart auf hart geht, jeder für den anderen da ist. Als mich mein Vater nach der Matura zum Bahnhof geführt hat, sagte er: „Bua, egal, was du machst, du kannst heimkommen.“ Es war schon sehr beruhigend, zu wissen, dass es da einen Rückzugsort gibt, wo ich sicher bin.

"Meine Eltern waren immer für mich da"

Ich hatte auch „das Glück“, meine Mutter auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Sie erhielt eine Woche vor Weihnachten die Diagnose Lungenkrebs im Endstadium. Sie ist in der Karwoche gestorben. Von Weihnachten bis zur Karwoche war ich praktisch drei bis fünf Tage in Oberösterreich. Ich habe meinen Vater betreut, als meine Mutter im Spital war, und habe den Haushalt gemacht. Meine Eltern waren immer für mich da, nun konnte ich für sie da sein. Als die Mama dann gestorben ist, haben wir relativ rasch erkannt, dass es mit dem Papa auch nicht so leicht geht. Da bin ich tatsächlich zwei bis drei Mal in der Woche zwischen Wien und Linz hin- und hergefahren. Einfach auch, um für meinen Vater da zu sein. Die letzten zwei Monate war er dann in Wien in einem Pflegeheim. Vor Allerheiligen ist dann auch er gestorben.Wenn jedes Kind solche Eltern hätte, wie ich sie hatte, dann hätten wir deutlich weniger Probleme in Österreich.