Sie schreiben in Ihrem neuen Buch „Der Tag, an dem ich alles hinschmeiße“, dass bei vielen, die wegen eines Burnouts zu Ihnen kommen, die größten Belastungen auf Paar- und Beziehungsebene zu finden sind. Die Arbeitsbelastung treibt uns nur vordergründig ins Burnout?

WOLFGANG LALOUSCHEK: Eines gleich vorweg: Die Botschaft lautet keinesfalls, dass ein Burnout nur die bekommen können, die private Probleme haben. Aber ich würde schätzen, dass etwa ein Drittel der Burnout-Patienten neben den beruflichen Belastungen auch relevante Belastungen im Beziehungsbereich haben.

Wolfgang Lalouschek (55) arbeitet als Neurologe und systemischer Coach in Wien, er ist Vorstand des Lehrstuhls für Psychosomatik an der Wiener Sigmund Freud Uni und berät Firmen und Konzerne zum Thema Mitarbeitergesundheit.
Wolfgang Lalouschek (55) arbeitet als Neurologe und systemischer Coach in Wien, er ist Vorstand des Lehrstuhls für Psychosomatik an der Wiener Sigmund Freud Uni und berät Firmen und Konzerne zum Thema Mitarbeitergesundheit. © (c) (C) Martina Draper

Über berufliche Probleme spricht es sich halt leichter?

WOLFGANG LALOUSCHEK: Ja, und häufig sieht man im Beziehungsbereich auch gar keine Entwicklungschance. Die Menschen sind nicht gewöhnt, mit anderen über Konflikte zu sprechen. Man schummelt sich darüber hinweg und akzeptiert den schlechten Beziehungszustand.

Um herauszufinden, wo im Leben jemand steht, empfehlen Sie, in einem Kreis aufzuzeichnen, welche Teile Beruf, Familie, diverse Verpflichtungen und schließlich ureigene Bedürfnisse einnehmen. Für Letzteres ist meist wenig Platz. Ist das wirklich eine Überraschung?

WOLFGANG LALOUSCHEK: Die wenigsten Menschen haben in ihrem Leben schon einmal auf diese Weise über ihr Leben nachgedacht. Das erzeugt völlig neue Informationen. Oder wenn ich jemanden dazu einlade, sich ein Original von sich selbst vorzustellen und sich dann zu fragen, wieweit er selbst so lebt, wie es diesem Original entspricht – dann führt das meistens zu einer wichtigen Erkenntnis.

Die Reflexion kommt aber häufig erst kurz vor dem Kollaps – oder gar erst danach.

WOLFGANG LALOUSCHEK: Weil der Prozess ein schleichender ist – über viele Jahre. Es gibt dazu ein plakatives Beispiel: Wenn Sie einen Frosch in ein Wasser setzen, das sie dann langsam erhitzen, dann springt dieser Frosch nicht heraus, selbst wenn es zu sieden beginnt. Den schleichenden Prozess bemerkt er nicht.

Was ist der Ausweg, wenn es um Beziehungsfragen geht?

WOLFGANG LALOUSCHEK: Man muss herauszufinden, wie man mit seinem Partner in eine konstruktive Diskussion und Entwicklung der Beziehung kommen kann. In vielen Fällen ist Paaren über die Jahre schlichtweg das gegenseitige Verständnis abhandengekommen. Eine wunderbare Methode, um zu einem verständnisvollen Austausch miteinander zu kommen, ist eine Dialog-Form, bei der zunächst nur einer spricht und der andere zuhört.

Jede Beziehung kann man damit wohl nicht retten.

WOLFGANG LALOUSCHEK: Nein, manchmal gehören Beziehungen auch beendet. Das eigentliche Problem ist aber, dass Menschen oft viel zu lange an ihrer Beziehung gar nichts weiterentwickeln. Wenn ich aber eine Beziehung nicht entwickle, gerate ich leicht in ein Fahrwasser, in das ich nie wollte.

Und wenn nur einer der Partner eine Veränderung in der Beziehung möchte?

WOLFGANG LALOUSCHEK: Einem Mann könnte man zum Beispiel sagen: „Angenommen, ihre Frau könnte sich drei Dinge von Ihnen wünschen: Was wäre das wohl?“ Dann könnte man den Mann einladen, seiner Frau einfach einmal das zu zeigen, was sie sich, wie er vermutet, von ihm wünschen würde. Und schon ist ein Paar im Dialog. Und darauf kommt es an: dass Menschen anfangen, miteinander zu reden – aber auf lösungsorientierte Weise. Das Wesentlichste ist aber, dass grundsätzlich noch die Bereitschaft vorhanden ist, einander mit Respekt zu begegnen. Ohne Respekt gibt es keine sinnvolle Verständigung.

Sie sprechen immer wieder davon, wie wichtig es ist, die Arbeit an der Entwicklung einer Beziehung aufzunehmen. Das klingt irgendwie anstrengend.

WOLFGANG LALOUSCHEK: Das kann so klingen. Es bedeutet aber vorerst nur, dem Bereich der Beziehung mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Viele Ratgeber empfehlen mittlerweile, sich „Partnerschaftszeit“ im Terminkalender einzutragen, damit sie in unserem durchgetakteten Leben nicht zu kurz kommt.

WOLFGANG LALOUSCHEK: Da sieht man ja, wie verrückt unser Leben geworden ist, wenn so etwas nötig ist. Dass Menschen und Beziehungen unter solchen Bedingungen krank werden, ist ja eine normale Reaktion.

Ist das eine Empfehlung, einen Gang zurückzuschalten, zu reduzieren oder gar auszusteigen?

WOLFGANG LALOUSCHEK: Eigentlich geht es darum, die Fülle des Lebens zu entdecken. Die Fülle besteht aber nicht im unbeschränkten Konsum.

Den eigenen Blickwinkel zu ändern, ist schon der halbe Sieg?

WOLFGANG LALOUSCHEK: Was ich immer wieder feststelle, ist, dass die guten Anteile im Menschen immer da sind. Die Hoffnung ist da, auch in der Krise – sie ist nur verschüttet. Meine Arbeit besteht darin, die guten Energien wieder freizulegen. Man benennt eine Sehnsucht, beginnt ein bisschen zu träumen – und plötzlich lockern sich die Dinge. Die Leute stellen fest: „Es darf mir gut gehen, ich darf mich entfalten.“ Unbewusst glauben ja viele, sie müssten ein leidvolles Leben führen, weil sie nur dann ihre Pflicht erfüllen. Das stimmt aber nicht: Das Leben soll Freude machen.

Wolfgang Lalouscheks neues Buch ist ab 21. März im Handel und zeigt Auswege aus Lebenskrisen und Burnout.
Wolfgang Lalouscheks neues Buch ist ab 21. März im Handel und zeigt Auswege aus Lebenskrisen und Burnout. © KK

Dazu gehört, auch der Liebe genügend Platz zu geben, wenn es denn überhaupt wahre Liebe ist. Woran erkennt man die Ihrer Meinung nach am besten?

WOLFGANG LALOUSCHEK: Bildlich gesprochen sieht man einander in der Phase der Verliebtheit ständig an. Bei der reiferen Form der Liebe blickt man oft gemeinsam in die gleiche Richtung. Man sieht sich freilich auch immer wieder an, aber man ist nicht mehr total aufeinander fixiert. Das ist eine tiefere Art der Verbundenheit, die mit einer natürlichen Art der Freundlichkeit einhergeht. Wir sehen das oft bei älteren Paaren: Manche meckern sich nur an, andere wiederum sind auf eine ganz natürliche Art freundlich zueinander – obwohl sie die Phase der Verliebtheit schon lange hinter sich haben und vielleicht auch schon lang keinen Sex mehr haben.

Mehr zum Thema Burnout:
"Kultur der Angst": Das System treibt Menschen ins Burnout
So erkennen Sie das Burnout