Genregrenzen erkunden, Ungehörtes ins Zentrum stellen, alten Vertrauten genauso eine Bühne bieten wie einer jungen Generation“. So steckte Elke Tschaikner bei der gestrigen Programmpräsentation die Ziele des ORF-musikprotokolls ab, das heuer „nomadic sounds“ nachspürt. Für die 54. Ausgabe des Avantgardefestivals im Rahmen des steirischen herbstes verspricht die künstlerische Leiterin 25 Uraufführungen, darunter viele Auftragswerke, 18 österreichische Erstaufführungen und nach pandemiebedingten Einschränkungen im Vorjahr auch wieder starke Internationalität.

Den Auftakt macht morgen um 18 Uhr im esc medien kunst labor die in Graz lehrende Wiener Komponistin Veronika Mayer im Duo mit ihrem Laptop, dem sie mit Handgesten musikalische Intuition beibringt und auf dessen Sounds wiederum sie als Performerin reagiert. Danach loten im Dom im Berg zunächst drei Mitglieder der Plattform Shape (Sound, Heterogeneous Art and Performance in Europe) die Grenzen des räumlichen Komponierens aus, dann dominieren experimentierfreudige Schlagzeugprojekte den Abend und die Nacht.

Wie wird ein Aquarium mit brennenden Kerzen darin zum Instrument? Mit dem dissonArt ensemble aus Thessaloniki kann man in Loïc Destremaus Klangwelt eintauchen. Wie klingt eine Komposition für einen Ikea-Tisch? Das demonstriert das Black Page Orchestra aus Wien bei seinem Festivaldebüt mit einem Stück des in Norwegen lebenden Georgiers Koka Nikoladze. Wie passt das exotische Sechsteltonharmonium von Alois Hába (1893–1973) aus einem Prager Museum zur flirrenden Mikrotonalität von Georg Friedrich Haas? Das führt das Ensemble for New Music Tallinn vor Ohren. Wie lässt man Phill Niblocks „Schwärme von Tönen“ (Co-Kurator Christian Scheib) fliegen? Das London Contemporary Orchestra verbeugt sich vor dem 88-jährigen Großmeister der mikrotonalen Feinstmechanik aus New York, der 2003 das letzte Mal beim musikprotokoll gastierte, diesmal aus gesundheitlichen Gründen aber nicht kommen kann.

In den vier dichten Festival-tagen gibt es mit dem Grazer ensemble zeitfluss um den Dirigenten Edo Micic auch ein „Heimspiel“; die treuen Mitstreiter interpretieren diesmal unter anderem ein Stück von Isabel Mundry. Die deutsche Komponistin ist übrigens auch beim Mini-Symposium „Nomadic Crossings Between Art and Research“ an der Kunstuniversität mit dabei.

Vier raffinierte Klanginstallationen im Mumuth runden das Programm ab, darunter „Echo“ von Nona Inescu: Mit 18 In-Ear-Kopfhörern, die mit einem Audioplayer verbunden sind und in 36 Schneckenhäuser münden, schafft die 30-jährige Rumänien Resonanzkammern der anderen Art.