Man müsste annehmen, dass er mit einem ordentlichen Getöse und viel Brimborium in den November knallt, aber er tritt geradezu vornehm zurückhaltend in Erscheinung: Wenn am 11. 11. um 11.11 Uhr der Fasching beginnt, dann bewegt das zwar in jedem Fall die eingefleischten Faschingsfans, aber selten knallen landauf, landab die Sektkorken. Schade eigentlich, denn der Fasching ist doch weit mehr als nur rote Clownsnasen und Konfetti, das mag eine äußerliche Begleiterscheinung sein, aber wenn man nur ein bisschen an der Oberfläche kratzt, kommt ziemlich schnell das wahre Wesen des Faschings zum Vorschein. Eines gleich vorausgeschickt: Er ist alles andere als brav.

Das zeigt sich schon am Datum, an dem er sich anschleicht. „Die Zahl elf ist DIE Narrenzahl. Sie überschreitet als erste die Zahl 10 und hebt sich damit auch von den 10 christlichen Geboten ab. Eine Verdoppelung ist klarerweise doppelt närrisch, da fügt man dann die närrische Uhrzeit gleich hinzu“, erklärt Michael Greger, der Leiter des Salzburger Landesinstituts für Volkskunde, auf. Die Grenzen überschreiten, das ist fixer Bestandteil der Narren-DNA.

Wer fürchtet sich vor der Grenzüberschreitung?

Dass die Grenzüberschreitung immer auch etwas ist, wovor sich Herrschende fürchten, lässt sich also ganz wunderbar in eine Zahl gießen: die 11. Doch wie mit dem gesellschaftlichen Wunsch nach dem Exzess umgehen? Heutzutage würde man sagen: feiern ja, aber nur unter kontrollierten Bedingungen. Und genau das steht im Beipacktext des Faschings: „Der Fasching ist eine Zeit, in der es auch dem sonst beherrscht lebenden Menschen gestattet ist, auszubrechen und mit Ventilbräuchen seinen Lüsten und Begehren freien Lauf zu lassen, diese auch kreativ auszuleben“, umreißt Greger die Merkmale des Faschings.

Der nicht unwesentliche Nachsatz: Er ist zeitlich begrenzt, wie Greger es exemplarisch an einem Beispiel vom Wiener Hof des 17. Jahrhunderts anführt. Für einen Tag war der Kaiser der Wirt und der Diener durfte Kaiser sein, aber nur für einen Tag. „Würde man diese zeitliche Grenze aufheben, würde das gesellschaftliche Gefüge, die gesellschaftliche Ordnung ins Wanken geraten. Und damit auch die damalige, gleichsam gottgewollte hierarchische Ordnung der Stände.“

Faszinierend: In eine andere Rolle schlüpfen
Faszinierend: In eine andere Rolle schlüpfen © EPA (ROBIN UTRECHT)

Der ritualisierte, limitierte Ausbruch ist in vielen Kulturen seit jeher ein fixer Bestandteil, deshalb lässt sich der Fasching an keinem konkreten Datum festmachen. „Kulturhistorisch betrachtet, ist der Fasching besonders in römisch-katholischen Milieus entwickelt worden“, so der Experte. Dafür spricht auch, dass der Fasching vor der Fastenzeit angesiedelt ist. Auf den Faschingsdienstag folgt der Aschermittwoch: Auf den Exzess folgt die Askese. Auch dass der Fasching am 11. November beginnt, ist so gesehen kein Zufall, wie Greger ausführt: „Der Martinstag am 11. 11. hat sozusagen eine thematische Verwandtschaft zum Fasching als letzter Feiertag und Festtag vor der ehemaligen vorweihnachtlichen Fastenzeit, dem Advent. Der Advent war bis 1917 nämlich eine Fastenzeit.“

Was der Brauchforscher beim Thema Fasching noch hervorhebt, ist, dass die unglaubliche regionale Vielfalt des Faschings gerade in unseren Breiten letztlich eine Art länderübergreifende „Zusammenarbeit“ ist: „Der Fasching, der Karneval ist ein Musterbeispiel für europäische Kulturzusammenhänge und Kulturaustausch.“

Die Anziehungskraft der Maske

Doch der Fasching, der kann noch weit mehr. Unter anderem mit einer Trickkiste aufwarten, die auf den Menschen seit jeher eine magische Anziehungskraft ausübt: die Maske. Sie ermöglicht dem Träger, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Nicht selten tragen wir im Alltag eine Maske zur Schau, die nicht unbedingt der eigenen Persönlichkeit entsprechen muss - nicht zuletzt geformt und geprägt durch gesellschaftliche Anforderungen und auch Zwänge. Wer eine andere Maske aufsetzt, setzt so seine eigene ab - eine rare Gelegenheit mit einer spannenden Folgewirkung: Man kann dem eigenen, dem vertrauten Selbstbild entfliehen. Eine Maske kann verhüllen und gleichzeitig auch befreien. Sie entfaltet ihre Wirkung nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. So gesehen, bietet der Fasching einmal im Jahr das, was noch kein Reisebüro geschafft hat: Man kann Urlaub von sich selbst machen.

Stirbt der Fasching irgendwann aus?
Stirbt der Fasching irgendwann aus? © (c) APA/JAKOB GRUBER (JAKOB GRUBER)

Nicht zwingend eine Maske trägt der Narr, zumindest aber trägt er die Zahl 11 am Trikot. Und er ist einer, der auch abseits des Faschings seit jeher als Außenseiter über die Grenzen gehen durfte - zu einem hohen Preis, denn der Narr stand zwar oft im Mittelpunkt, aber Teil der Mitte war er nie. Das mag auch daran liegen, dass der Narr eines mit Vorliebe zelebriert, was der Mensch nicht sonderlich gerne mag: Er hält ihm den Spiegel vor. In diesem Sinne wird der Narr wohl hoffentlich nie aus der Mode kommen. Doch wie schaut es mit dem Fasching selbst aus, wird er irgendwann aussterben? „Jeder Brauch, der existiert, ist auch zeitgemäß. Dabei ist ganz wichtig: Der Wandel ist dem Brauch eingeschrieben, nur wandeln sich Bräuche teils für uns unmerklich. Heutige Bräuche sind natürlich den Trends der Gesellschaft wie Eventisierung, Ökonomisierung und Mediatisierung ausgesetzt“, so Michael Greger, der jedoch einen zentralen Satz nachschickt: „Bräuche, die sich nicht wandeln, werden vergehen, was keinen Anlass für Kulturpessimismus darstellen muss, denn es entsteht gleichzeitig ständig Neues.“

Wobei es um den Fasching ewig schade wäre, denn zumindest an ein paar Tagen im Jahr sollte man sich freiwillig zum Narren machen.