­London zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in der sogenannten Regency-Ära gibt man sich tugendhaft hochgeschlossen, aber dafür nicht nur in den Hinterzimmern offenherzig. Eh schon wissen: Wo die Tugendpolizei Hof hält, feiern Klatsch, Tratsch und Begierde fröhliche Urständ. Das ist bei "Bridgerton" (ab 25. Dezember auf Netflix) nicht anders: Opulent die Ausstattung, rauschend die Bälle und der Heiratsmarkt blüht. Es gilt, die Jahrgangsdamen an den richtigen Mann zu bringen. Am Ball, wo man so tut, als könnten sich die Damen eh einen Herren aussuchen. Ein Hoch auf die Illusion. In dem ganzen Pomp findet sich Daphne Bridgerton (Phoebe Dynevor) wieder: als "Juwel der Saison", Jackpot der angesehenen Familie Bridgerton.

Doch aus dem Durchmarschieren zum Traualtar wird nix. Und so kommt die List: Daphne geht mit dem heiratsunwilligen (Die Kindheit! Die Kindheit! Es liegt alles in der Kindheit begraben!) Duke of Hastings (Regé-Jean Page) einen Deal ein. Das "Turteln" (also Spazierengehen mit Anstandsdame) hält ihm die Mütter fern, die ihre Töchter verheiraten wollen, und bescheren ihr die Verehrer, die bei männlichen Konkurrenzsituationen wie Motten um das Licht flirren. Das alles eingerahmt in die Erzählstimme einer Lady Whistledown, die mit einer Art "Neue Post" die feine Gesellschaft mit Insiderwissen und Spekulation, also in Summe Gossip, auf Trab hält.

Hurra, wir rufen das neue Biedermeier aus!

Produzentin ist Shonda Rhimes (Grey's Anatomy), Vorlage sind die Bücher von Julia Quinn, die von ihren Fans auch als moderne Jane Austen gepriesen wird. Nur ist hier nichts modern, auch in der Serienumsetzung nicht: Gut, der Cast ist divers, aber das zeigt vor allem, dass man eben nicht zwingend die Zeit von damals abbilden wollte. Der Rest ist so schön nah am Klischee, dass es unmöglich ironisch gemeint sein kann. Zwar gibt es die eine oder andere Auflehnung gegen Patriarchat und Frauenverschacherung, aber nur so nebenbei, dass man sich theoretisch auch verhört haben könnte. Dass man im Jahr 2020 das neue Biedermeier ausruft, liegt in der Natur von Krisenzeiten. Aber muss das wirklich sein? Waren wir inicht schon weiter, viel weiter?

Die Figuren sind perfekt in ihr Korsett oder ihren Sixpack eingepasst, dass ein Ausbruch nicht vorgesehen ist. Da wäre also noch viel Luft nach oben. Hätte man können, aber vielleicht nicht wollen. Schwer zu erraten ist das eh nicht, denn diese Bücher verkaufen sich höllisch gut. Somit nah am Original zu bleiben, ist eine sichere Bank. Das kann man auch der Serie voraussagen: Ein Erfolg wird sie auf alle Fälle, aber Emmy wird sie keinen kriegen. Das Riechsalz bitte, die Ohnmacht naht!

Für: Rebellinnen, die gerade ein bisschen kampfmüde geworden sind und sich so in den Kampfmodus zurückpushen wollen, und Männer, die von längst vergangenen Zeiten träumen, wo man sich noch nicht auf Twitter duelliert hat, sondern zum Frühtau im Park.