Nichts derzeit ohne Corona-Hintergrund: Bereits im Frühjahr wollte der Nu-Souler Sam Smith sein neues Album veröffentlichen, doch dann kam das Virus. Ebenfalls Anfang dieses Jahres hatte der Brite öffentlich erklärt, nichtbinär zu sein, sich also nicht auf eine Geschlechteridentität festlegen zu wollen. Musikalisch indessen hat sich der 28-Jährige mit dem nunmehr erschienenen Album „Love Goes“ eindeutig positioniert – und zwar mitten im Mainstream. Der Auftakt gibt noch Hoffnung: Mit dem A-cappella-Song „Young“ zeigt sich Young schutzlos und vulnerabel, doch was dann auf den restlichen zehn Titeln folgt, ist ärgerlich belangloser High-End-Pop, prächtig und vermutlich sündteuer produziert, doch fernab jedweder künstlerischen Bedeutung.

Auch die markante, soulfähige Stimme kommt bei dieser protzigen, aber letztendlich urfaden Inszenierung in den Mahlstrom. Als Draufgabe sind die Texte – es wimmelt nur so von „Broken Hearts“ – peinlicher als jeder Kalenderspruch. Das ist Fließband-Pop der übelsten Sorte, der sich noch dazu die „großen Gefühle“ auf seine Fahnen heftet. Die letzten beiden Jahre seien persönlich und musikalisch die experimentellste Zeit seines Lebens gewesen, schreibt Smith in einem „offenen Brief“ zum Album. Was das Persönliche betrifft, mag das stimmen, aber wenn das schon ein musikalisches Experiment ist, dann gute Nacht, Popwelt!

Er hingegen darf das Wort „Experiment“ jederzeit in den Mund nehmen und für sich in Anspruch nehmen, denn Declan Patrick MacManus, besser bekannt unter dem Namen Elvis Costello, hat im Zuge seiner fast fünfzigjährigen Karriere schon alles geliefert: Punk, Pop, Garage, Kunstlieder, Kammermusik, Jazz. Und egal, wohin der unruhige Geist ihn gerade trieb, was Costello zurückbrachte, war feinste Musikkost. Die Songs auf seinem neuen Album „Hey Clockface“ sind radikal heterogen, mitunter rätselhaft, verblüffend, aber immer mit Herzblut und künstlerischer Stringenz geschrieben. Da krachen Lärmlieder um die Ecke, abenteuerlich exotisch instrumentiert und wild wie ein Sack voll Kinderflöhe; dann wieder lässt der 66-Jährige die wundervollsten Balladen von Beatles’scher Güteklasse vom Stapel, um im nächsten Moment mit einer Brass-Band tscheppernd durch Dixieland zu marschieren. Wie immer man das nennen mag, was Costello hier zelebriert, so klingt großer Pop in seiner ganzen Bandbreite.

Und noch einmal Corona. Wem das Real-Life-Drama draußen vor der Haustür noch nicht reicht, der kann sich an der Seite von Mark Oliver Everett (57) aka Eels eine gepflegte Depression nach Noten zulegen. Die meisten Songs des neuen Albums „Earth to Dora“ hat Everett zwar vor der Pandemie geschrieben, aber das spielt ohnehin keine Rolle, denn dieser King of Pain hat immer schon vom Überlebensmodus in (persönlichen) Lockdown-Zeiten gesungen. Auch durch dieses Album fließt wieder jede Menge Ungemach, doch kaum jemand hüllt den Schmerz in so berückend schöne Songkleider. Everett schlurft knarzig durch die Untiefen seines Lebens, lässt sich schon einmal zur Feststellung hinreißen, dass der heutige Tag eigentlich ganz in Ordnung sei, um im nächsten Seufzer „Dark and Dramatic“ festzuhalten, dass er die Holde zwar sehr liebe, dass diese es aber wieder einmal versaut habe. Und dann, unausweichlich: „Oh, my Lord – I got hurt“.
Übrigens, der Schmerzensmann schreibt nicht nur die bittersüßesten Songs der Welt, sondern auch grandiose Bücher. Unbedingt empfehlenswert: „Glückstage in der Hölle“.