Álex Pina ist kein zurückhaltender Serienschöpfer: In "Haus des Geldes" walkte er einen Banküberfall auf eine gesamte Staffel aus und schuf daraus eine Mischung aus Krieg und Liebe, aus Gesellschaftskritik und Thriller. Die Rechnung ging auf, die Serie zählte zu den erfolgreichsten der letzten Jahre, was Aufmerksamkeit für jedes weitere von Pinas Serienprojekten garantiert.

Sein neues Projekt "Sky Rojo" siedelt Pina gemeinsam mit Esther Martínez Lobato in einem Bordell in der Provinz an. Entsprechend lauten die Namen der drei Hauptfiguren Coral (Verónica Sánchez), Wendy (Lali Espósito) und Gina (Yany Prado). Die drei Frauen arbeiten sieben Tage in der Woche als Prostituierte für den Zuhälter Romeo (Asier Etxeandia). Als sie diesen durch ein Handgemenge und die Puff-Mutter durch einen Autounfall außer Gefecht setzen, begeben sich die drei Frauen auf der Flucht vor Romeo und seinen Handlangern auf eine Odyssee.

Vier Folgen wurden der Presse vorab zur Ansicht vorgelegt: Sie zeigen ein stylisches Puff, mit schönen Frauen und alten Männern, eine Serie mit vielen Rundungen und wenig Schamgefühl. "Sex sells" gilt an diesem Ort und in dieser Streamingproduktion, in der Stilisierung von sexueller Gewalt und ihre Thematisierung nicht zu trennen sind. Ein Balanceakt, der zugleich nach Schundfilm, Quentin Tarantino und klassischem Actionabenteuer riecht und, wie "Haus des Geldes", auf den Geschmack der Masse abzielt.

Die Subgeschichten klingen authentisch: Die aus Kuba stammende Gina wird vom charmanten Moisés unter dem Vorwand angeworben, sie könnte in Spanien kellnern. Als Prostituierte arbeitet sie schließlich als verzweifelter weiblicher Sisyfos, um sich aus dem Schuldverhältnis zu ihrem Zuhälter zu befreien. Als sie mit Wendy und Coral aus dem Bordell flüchtet, wird sie von ihrer Mutter aufgefordert weiter zu arbeiten. Sonst sei sie eine Schande der Familie.

Wenn Figuren wie Prostituierte behandelt werden

"Sky Rojo" bewegt sich auf den Spuren spanischer Erfolgsserien wie "Haus des Geldes", "Élite" oder "Die Telefonistinnen". Auch in diesem Fall geht es um starke Frauenpersönlichkeiten, das große inhaltliche Potenzial, das dem Prostitutions-Thema zugrunde liegt, wird allerdings nicht ausgeschöpft. Darauf zielen die rund 25-minütigen Folgen auch nicht ab: Man begnügt sich mit der Darstellung gut aussehender Frauen, ungeschminkter Gewalt, inhaltlichem Spektakel und flotten Sprüchen: "Ey Gina, schlag du die Eier in die Pfanne, das kannst du doch so gut."

Letztlich behandeln die Serienschöpfer ihre Figuren nicht anders als Zuhälter ihre Huren: Sie achten auf die Optik und die Durchführung des Akts. Die Figuren- beziehungsweise Persönlichkeitsentwicklung bleibt - zumindest in den ersten vier Folgen - aus. Anstelle des Sogs, der "Haus des Geldes" auszeichnete, glänzt "Sky Rojo" durch banale Oberflächlichkeit.

Eine Serie als dritter Akt

Aufschlussreich sind die Informationen, die Netflix als Produktinformation zur Serie anbietet. In einer Notiz wird der Aufbau von "Sky Rojo" als bewusste Komprimierung beschrieben: Während klassische Actiongeschichten die Figuren über zwei Akte hinweg entwickeln und sie am Ende des zweiten Aktes eines Wendung unterziehen, strebt "Sky Rojo" an, den dritten Akt als Grundlage für die gesamte Serie zu machen. "Was spricht also dagegen, mit einem ständigen dritten Akt zu arbeiten und unsere gesamte Geschichte durch diese furiose Energie zu leiten?“, fragen Pina und Lobato. Das Ergebnis ist ambitioniert und zugleich bedauerlich: Ein wenig mehr Tiefgang - was gewöhnlich in den ersten Akten aufgebaut wird - hätte "Sky Rojo" verdient.