Die Presse war dem Präsidenten gegenüber wirklich nicht zimperlich: Er sei ein Lügner, Übertreiber, Monster, Tyrann, Schwindler, Schuft, Erzähler schmutziger Geschichten, Idiot und noch vieles mehr. Der das über sich ergehen lassen musste, war freilich nicht der 45. Präsident der Vereinigten Staaten, sondern der 16.: Abraham Lincoln (1809–1865), jener US-Präsident, dessen Statuen und Abbilder jetzt die meisten Amtsgebäude der USA schmücken.

Die vierte Macht im Staate war sich – mit Ausnahmen – schon immer ihrer wichtigen Aufgabe bewusst. Die bestand darin, ein besonders strenges Auge auf die Politik zu werfen und die Bürger über das, was in den Zentren der Macht geschieht, genau zu informieren. Gerade in diesen Tagen tut sie wieder das mit großer Bestimmtheit: Jeden Tag werden neue Artikel, Bilder und Videos veröffentlicht, die zeigen, was Trumps Anhänger bei ihrem Sturm auf das Kapitol anrichteten. Sachschäden – und mehr: Schäden an der Demokratie.

Doch immer wieder schlossen die Medien auch stillschweigend Übereinkünfte mit den jeweils Regierenden im Weißen Haus: Franklin D. Roosevelt litt an einer Art Kinderlähmung, doch die Presse vermied es, ihn im Rollstuhl zu zeigen. John F. Kennedys Schwäche für das weibliche Geschlecht war damals fast allen Reportern im Weißen Haus bekannt, und doch herrschte Stillschweigen darüber. Erst bei Bill Clinton, kaum weniger ein Womanizer als Kennedy („No, I did not have sexual relations with that woman, Ms. Lewinsky!“), änderte sich die Haltung. Ihm wurde jeder angebliche oder echte Seitensprung auf Titelseiten vorgehalten und in alle Einzelheiten zerlegt. George Bush hatte nach dem Anschlag von 9/11 die Medien auf seiner Seite, fütterte sogar die „New York Times“ mit erfundenen Storys über Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen.

An Donald Trump, nach Ronald Reagan der zweite „Teflon“-Präsident, blieb nichts haften. Er konnte übertreiben, lügen, zugeben, dass er Frauen „zwischen die Beine“ gegriffen hatte, dem Wahlvolk war das egal. Nicht so den Medien: Seinen Wahlsieg im November 2016 quittierte das Wochenmagazin „New York“ mit der dicken roten Überschrift: „Loser“ (Verlierer), darunter war ein Trump mit abstoßender Grimasse zu sehen.
Nicht viel mehr Glück hatte der damalige President-elect mit der Konkurrenz-Zeitschrift „The New Yorker“. Dort warf ihm Chefredakteur David Remnick vor, eine „Tragödie für die amerikanische Republik, eine Tragödie für die Verfassung und ein Triumph für jene Kräfte zu sein, die ein autoritäres Regierungssystem, Frauenfeindlichkeit und Rassismus auf ihre Fahnen heften.“ Das waren harte Worte, noch bevor Trump auch nur einen Schritt ins Weiße Haus gesetzt hatte. Allerdings hatte er schon im Wahlkampf deutlich gemacht, was er von Journalisten hält: Bestes Beispiel war, wie er einen Reporter der „New York Times“ nachäffte, weil dieser wegen einer chronischen Krankheit seine Armbewegungen nicht unter Kontrolle hatte.

Dann ging es Schlag auf Schlag: Seine Amtseinführung, so brüstete Trump sich, sei von „den meisten Menschen jemals“ beklatscht worden (was die Medien mit Bildern von Obamas Inauguration sofort genüsslich korrigierten). Bald danach erklärte er die meisten traditionellen US-Publikationen zu „Feinden des amerikanischen Volkes“, was sie veröffentlichten, seien samt und sonders „Fake News“.

Fake News or not

Ausgenommen war „Fox News“ vom US-australischen Medienmogul Rupert Murdoch, dessen Kommentatoren ihm fast bis zuletzt treu die Stange hielten. Als er einmal gefragt wurde, warum er die Presse attackiere, fand er eine einleuchtende Antwort: „Ich mache das, um euch zu diskreditieren, um euch runterzumachen. Wenn ihr etwas Negatives über mich schreibt, wird euch das niemand glauben.“ Und dieses Ziel erreichte er tatsächlich: 75 Millionen Amerikaner unterstützten ihn bei der Wahl am 3. November. Fake News or not.

Bedenklich ist freilich, dass viele gesellschaftspolitische Strömungen mit einiger Verzögerung von den USA nach Europa schwappen. Derzeit ist dieser Vertrauensverlust in traditionelle Medien bei uns eine Minderheiten-Ansicht. Wie lange noch?

Eugen Freund ist ehemaliger ORF-Journalist und verbrachte elf Jahre beruflich in den USA.