Frau Zechner, in Österreich konnte sehr früh nach dem Lockdown wieder gedreht werden. Wie geht es der heimischen Filmbranche aktuell?
KATHRIN ZECHNER: Das akute Corona-Thema haben wir durch eine große gewachsene Vertrautheit und Partnerschaft durch die Produzenten und den ORF geschafft. Am wichtigsten für alle war, dass wieder produziert wird. Wir haben eine gedeckelte Ausfallhaftung, die die Politik dankenswerterweise übernommen hat, Sicherheitslinien nach dem schwedischen Modell, adaptiert auf unseren Markt. Und wir haben eine Vereinbarung zwischen ORF und Produzenten die Corona bedingten Mehrkosten betreffend gemeinsam erstellt.

Gab es schon coronabedingte Ausfälle am Set?
Es gab zwei Unterbrüche bei „Vienna Blood“, als der Regisseur (Anm. Robert Dornhelm) positiv getestet war. Für ihn sprang Marvin Kren ein, mittlerweile dreht er wieder. Das Sicherheitssystem funktioniert und die Leute sind professionell vernünftig.

Bei den Medientagen nahmen Sie an einer Diskussionsrunde zum Thema: „Und Action! Herausforderungen für die Filmwirtschaft“ teil. Vor welchen steht diese angesichts wachsender Plattformen?
Wir waren immer schon aus Österreich heraus auch im deutschen Raum erfolgreich, weil unser kreatives Potenzial und schauspielerisches Talent geschätzt wird. Durch Netflix, Amazon, Sky und Co. ist das nun nahezu explodiert. Das hat einen Boost ausgelöst und tut der Filmwirtschaft an sich gut. Ich muss ein bisschen ausholen: Der erste Schritt der Plattformen war, alles, was sie selber hatten oder zusammengekauft haben, in einer Library anzubieten. Im Gegensatz zu Dänemark haben wir unser Archiv damals nicht verkauft, obwohl der Preis, eine hohe Summe, sehr verlockend war. Im nächsten Schritt wurde mit etwa „House of Cards“ aufwendig produziert. Zunächst im Sinne hochwertigen Marketings für die Abo-Akquise. Der vorerst letzte Schritt ist ein gigantisches Investment in Netflix Originals. Auf diesem Level bewegen sich auch nachgerückte Anbieter.

Am Set von "Vienna Blood": Jürgen Maurer, Matthew Beard, Robert Dornhelm
Am Set von "Vienna Blood": Jürgen Maurer, Matthew Beard, Robert Dornhelm © ORF

Nun setzen Netflix & Co. auf Regionalität. Wie bewerten Sie das?
Zuerst sind sie in die größeren Märkte gegangen: haben britisch, spanisch oder französisch produziert, später dänisch und belgisch. Jetzt kommen sie auch in den deutschsprachigen und österreichischen Markt. Da beginnt es für mich zu kippen.

Nämlich?

Wenn es den Großen gelingt, und sei es nur über zwei, drei Jahre, den Eindruck zu erwecken, das Regionale zu übernehmen und der ORF, der das Rückgrat dieses Könnens und die Garantie dafür ist, unter Finanzierungsdruck kommt und das identitaetsstiften Volumen frei von Renditegedanken unter die Relevanzschwelle reduzieren müsste, könnte er nicht mehr das gesamte Angebot, das unser mediales Gesamtversorgungsnetz ausmacht, bieten. Bei gleichzeitigen internationalen Mergern auf dem kommerziellen Sektor würden Netflix und in dem Moment die kleinen und damit unrentable Märkte aus Renditegründen nicht mehr mit originär Regionalem bespielen. 

Die Serie „Freud“ war die erste Kooperation mit Netflix. Der ORF behielt die Premiere, dort sahen den Auftakt im Schnitt 475.000 Menschen. Bei Netflix wurde sie im ersten Monat mehr als 25 Millionenmal aufgerufen. Sind Sie zufrieden?
Wir wollten uns ansehen, wie die Zusammenarbeit funktioniert: mit einem Produzenten, einem Regisseur und einer Besetzung aus Österreich. Wir hätten uns das Volumen von „Freud“ schlicht und einfach nicht leisten können. Insofern dient dieses Produkt dem Renommee. In der internationalen Verwertung, die bei Netflix liegt, waren wir höchst erfolgreich und damit das Projekt sehr okay.

Nun wird mit dem Dreiteiler „Totenfrau“ die nächste Kooperation mit Netflix entwickelt. Nach gleichem Muster?

Wir verhandeln gerade. Aber wir schließen den Vertrag nur ab, wenn wir uns auf die Bücher einigen und die Premiere wieder bei uns liegt. Ich schließe eine Kooperation mit einer Plattform nur punktuell ab: wenn ich das Produkt absolut will, es von uns ausgeht und ich mir das sonst nicht leisten kann.

Bei den anderen beiden Netflix-Projekten ist der ORF nicht dabei?
„Was wir wollten“ hatte eine ÖFI-Entwicklungs- und Herstellungsförderung bekommen. Dann hat der Produzent Elyas M’Barek besetzt und Netflix hat in der Sekunde eine satte Summe auf den Tisch gelegt. Das ist "Cherry Picking". Wir suchen und begleiten Talente, vertrauen ihnen, gehen in einen Erstlingsfilm und dann ist die Kino- und Folgeverwertung weg. Das ist ärgerlich, aber so ist das Leben.

Welche anderen Kooperationen kommen demnächst?
Wir drehen aktuell an der Fortsetzung von „Vienna Blood“ (4-6), Ende des Jahres werden die ersten drei Teile ausgestrahlt. Eine Damenriege um Barbara Albert und Sandra Wollner entwickeln mit „Schnee“ eine Mystery-Serie und mit den Bayern verhandeln wir gerade „Alles finster“ – eine Story über einen totalen Stromausfall an der bayerisch-österreichischen Grenze. Und Mischa Zickler entwickelt mit „Tage, die es nicht gab“ einen Achtteiler mit deutscher Koproduktion.

Schmerzt es Sie, dass David Schalko „Ich und die Anderen“mit Sky und ohne ORF umsetzt?
Nein, ich finde es großartig und bin stolz., dass David Schalko, Barbara Eder, Andreas Prochaska oder Stefan Ruzowitzky uviele mehr auf der ganzen Welt Regie führen. Ich freue mich fuer diese wunderbaren Kreativen! Es ist eine jahrzehntelange Qualität des ORF: Talente suchen, finden, ausbauen und begleiten. Niemand von diesen Namen würden nicht mehr mit uns produzieren. Sie erobern die Welt und bleiben trotzdem wie Familie.

Wie muss und wird sich der ORF künftig positionieren?
Dass wir Streamen können und dürfen, auch digital only oder first. Da baue ich auf den klaren, zukunftsorientierten Blick der Medienpolitik und die Verhandlungsstärke des Generaldirektors. Und: Wir müssen innovativ bleiben, noch kreativer sein, um als kleines Land aufzufallen. Und natürlich denken wir über Spielformen nach, einen Teil des Players, wo wir Dinge ausprobieren.

Ein Beispiel bitte?
Es geht um Vorab-Geschichten, Prequels oder Sidekicks. Zum Beispiel: Was ist im Leben der Julie Zirbner vor der ersten Folge "Vier Frauen und ein Todesfall“ passiert. Es geht nicht um reine PR, sondern um dramaturgisch durchdachte Storys.

Ist die SOKO-Frage der Nachfolge schon geklärt?
Wir stehen kurz vor dem Abschluss. Es sind nur mehr zwei Bundesländer im Rennen, die Steiermark ist noch dabei.

Landkrimis und Stadtkomödien werden fortgesetzt?
Ja, Arte ermöglicht französische Fassungen,  Beim ZDF ist man ganz verliebt in die Steiermark-Landkrimis.

Franiska Weisz, Stefanie Reinsperger und Verena Altenberger sind bereits oder demnächst TV-Kommissarinnen in Deutschland. Werden wir bald ein Nachwuchsproblem haben?
Es gibt ein dermaßen dichtes Talent in diesem Land, darüber mache ich mir keine Sorgen.

Worüber denn?
Sorgen mache ich mir, ob unser aller Fokus auch auf der starken Handschrift der Dokumentation und Fiktion bleibt und nicht dem Rausch der globalen player verfaellt. Wir sind verlässlich und hochwertig Gesicht und Stimme dieses Landes.