Corona hat den Dornröschenschlaf des Künstlerhauses am Wiener Karlsplatz verlängert. Die für den 13. März geplante Eröffnung der „Albertina modern“ musste abgesagt werden – heute öffnet das neue Museum für Kunst der Gegenwart seine Pforten.
Und versucht mit der Ausstellung „The Beginning“ nichts weniger als einen Kanon der heimischen Nachkriegskunst. „Die Kunst nach 1945 wurde in Österreich bis in die 1970er hinein als ‘entartet’ bezeichnet, sie wurde kriminalisiert und verdrängt: nicht zuletzt im ehemaligen Künstlerhaus, in dem durch die verschiedenen Präsidenten seit den 1930ern der Ungeist des Nationalsozialismus herrschte“, schreibt Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder im Katalog. Diesen „Ungeist“ wolle die Schau „exorzieren“ und dem Gebäude „eine neue Identität schenken“.

Die heimischen Avantgarden

„The Beginning“ rückt „die heimischen Avantgarden“ in den Fokus – jene Künstlerinnen und Künstler, die „Neuerer“ waren und die Kunstgeschichte prägten. Und jene, die die Nazi-Zeit, das Grauen des Krieges und die Entmenschlichung verarbeiteten. Im Fall von Gottfried Helnweins „Lebensunwertes Leben“ (1979) als Reaktion auf ein Interview mit dem NS-Euthanasiearzt Heinrich Gross sogar mit politischen Konsequenzen.

Gottfried Helnwein, „Der höhnische Arzt“, 1973.
Gottfried Helnwein, „Der höhnische Arzt“, 1973. © Albertina


In 13 Kapiteln wird man durch das Erd- und Untergeschoß des Hauses geführt, das von Mäzen Hans Peter Haselsteiner und seiner Familienstiftung in den letzten Jahren um 57 Millionen Euro liebevoll und im „Albertina“-Stil renoviert wurde. Der Stiftung gehören 60 Prozent der ehemaligen Sammlung Essl.

Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder im Raum, der Maria Lassnig gewidmet wird
Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder im Raum, der Maria Lassnig gewidmet wird © APA/GEORG HOCHMUTH

Am besten startet man in „der Sackgasse“ links, in einem Raum, der die frühesten Arbeiten der wichtigsten Vertreter der „Wiener Schule des Phantastischen Realismus“ von Ernst Fuchs, Rudolf Hausner, Anton Lemden, Wolfang Hutter und Arik Brauer ausstellt; allesamt düstere Antworten in elaborierter altmeisterlicher Malweise auf den Krieg. In der Mitte des Raums thront die Skulptur „Den Tod atmen müssen“ von Curt Stenvert, in der ein süßer Frauenpuppenkopf eingeschraubt ist, daneben befindet sich ein Gasschlauch.
Ausbruch und Aufbruch.

Das Kapitel „Abstraktion in Österreich“ widmet sich in aller Wucht den Werken des in der Steiermark lebenden Kärntners Wolfgang Hollegha, dem laut Schröder „als einzigem Österreicher“ eine internationale Karriere a la Jackson Pollock attestiert wurde. Auch die Positionen von Malern wie Markus Prachensky, Josef Mikl, Arnulf Rainer, Max Weiler, Maria Lassnig oder Bildhauern wie Otto Eder oder Rudolf Hoflehner belegen, dass die Avantgarde der „Stunde Null“ nur im Plural existiert. Und als Kreißsaal, so der Direktor, fungierte ein Quadratkilometer in Wien zwischen zwischen Art-Club, Galerie St. Stephan, Akademie.

Süß und listig: Christian Ludwig Attersees "Torte mit Speisekugeln und Speiseblau"
Süß und listig: Christian Ludwig Attersees "Torte mit Speisekugeln und Speiseblau" © Mischa Nawrata


Knalligster Höhepunkt der Schau sind die Räume mit Pop Art und OP Art: also Christian Ludwig Attersee, Kiki Kogelnik oder Helga Philipp. Höchst erfreulich auch: Das Untergeschoß gehört Valie Export, Renate Bertlmann, Karin Mack oder Auguste Kronheim und ihrer feministischen Kunst.