Was für ein Jahr. Den Soundtrack zu den 365 Tagen voller persönlicher Selbstfindung lieferten ausgerechnet mit den Foals, The National und Vampire Weekend vertraute Wegbegleiter. Zu ihnen gesellten sich mit etwa Better Oblivion Community Center zudem neue Lieblinge. Alle Titel gibt’s hier zum Nachhören. 

Vampire Weekend - Bambina und This Life

Die düsteren Tage sind vorbei. Zumindest für Vampire Weekend. Wobei die pulsierende College-Tanzfläche für die New Yorker schon immer mehr Bühne war als der schummrige Underground-Klub. Nach "Modern Vampires Of The City" legten die Upper-Class-Boys nun nach sechs Jahren "Father of the Bride" nach. Musikalisch ist das Werk wieder heller und leichter als der Vorgänger. Und vor allem vielseitiger: Hier werden auf dem Doppelalbum (18 Songs!) Folk- und Countrystrukturen mit Indiepop vermischt. Ausgefüllt werden die bleibenden Leerräume mit verspielten Barockmelodien, Chören und den Stimmen der Haim-Schwestern. Davon zeugen "Bambina" und "This Life", die eine feierliche Symbiose bilden. Unbedingt hintereinander anhören, weil das italienische Mädchen auf dem Album fast zu kurz auf Besuch kommt. Damn it, Ezra Koenig. Trotzdem Longplayer des Jahres.

Weitere Anspieltipps: Harmony Hall; Unbearably White; Jerusalem, New York, Berlin

Sharon Van Etten - Seventeen

Die Jugend ist eine flüchtige Phase der Selbstentdeckung. Mit 17 Jahren ist das Leben verkopft und verklärt zugleich. Davon kann die 38-jährige  Amerikanerin Sharon Van Etten ein Lied singen: "Seventeen", aus ihrem sechsten Album "Remind Me Tomorrow", kommt mit brodelnden Gitarren-Hooks und einer aufbauenden Theatralik aus, die den Wirren der Jugend entnommen scheint: fiebrig und gleichzeitig unaufgeregt.

Weitere Anspieltipps: Comback Kid; I Told You Everything

Foals - Exits

Ebenso wie Vampire Weekend haben die Foals aus London heuer ein Doppelalbum veröffentlicht. Anders wie die Amerikaner wurde indes "Everything Not Saved Will Be Lost" in Part I und II aufgeteilt. Der im Frühjahr erschienene erste Teil kommt mit deutlich mehr Beats und Synthesizern aus als der gitarrenlastige, herbstliche Nachfolger. Vom verspielten Math-Rock der Anfangsjahre ist die Band ohnehin weit entfernt. "Exits", mit seinem groovigen Soundskelett und seinen schonungslosen Textfragmenten, dient da noch als Brückenbauer zwischen älteren Werken und dem Jahr 2019.

Weitere Anspieltipps: Sunday (I); The Runner (II)

The National - Rylan

Die Hölle, das sind die anderen. Nicht ganz. Findet zumindest Matt Berninger von The National in "Rylan". Vielmehr proklamiert er "There is a little bit of hell in everyone". Gerade er muss es ja wissen. Und damit ist es aber auch schon vorbei mit den sozialen Verwerfungen. Denn auf "I Am Easy To Find" manifestiert sich erstmals jener Charakter in einem National-Album, der von den einzelnen Mitgliedern eh schon seit Jahren gelebt wird: jener der Kooperative. Mit viel weiblicher Unterstützung, Beats und Brüchen kommen die Songs aus. Da fällt "Rylan" mit seiner klaren Struktur aus der Trackliste. Kein Wunder, stammt er doch aus dem Jahr 2011.

Weitere Anspieltipps: Quiet Light; Where Is Her Head, Hairpin Turns

Better Oblivion Community Center - Dylan Thomas

Phoebe Bridgers macht 2019 weiter, womit sie mit "boygenius" 2018 aufgehört hat: herausragender Musik. Diese kommt bei Bridgers neuem Bandprojekt mit dem ehemaligen Bright Eyes-Sänger Conor Oberst mit einer Harmonie aus, die in diesem Jahr seinesgleichen sucht. Auf der gleichnamigen Platte drängen somit selbst die schwermütigsten Lyrics auf die Tanzfläche. Der Leitsong der Platte lautet "Dylan Thomas", ihm folgen alle: bespickt mit (akustischer) Indierock-Manier, großartigem Songwriting ("buy some peace and quiet and shut up at the silent retreat") und eingängigen Duetten. Einen baldigen Nachschlag, bitte.

Weitere Anspieltipps: My City; Didn't Know What I Was In For; Exception Of The Rule

Nilüfer Yanya - In Your Head

Es braucht ein wenig bis das Lied im Kopf einhakt. Passiert es schließlich, genießt es indes Omnipräsenz dort. Was Nilüfer Yanya hier auftischt, ist feinster Indierock, der auch mal ein bisschen ausarten kann. Auf ihrem Album "Miss Universe" ist die Londonerin da schon kosmopolitischer: Sie streift mit ihrer wandelbaren Stimme gelungen durch die unterschiedlichen Genres.

Weitere Anspieltipps: Heat rises

Bon Iver - Hey, Ma

Es ist eine Metamorphose der Verkopftheit, die Justin Vernon in den vergangenen Jahren in seinem Alben durchlebt hat. Wenn "For Emma, Forever Ago" roher Einsiedler-Indiefolk war, dann ist "i,i" ein ausgekochtes Songwriter-Festmahl mit elektronischen Versatzstücken als Garnierung. Die Kollaborationen darauf dienen als elegante Abgrenzung zu alten Tagen im Wald. Mittlerweile sind Bon Iver im milden Herbst angekommen. "Hey, Ma"schafft es dabei mit seiner Eingängigkeit den nötigen musikalischen Bogen zu spannen.

Weitere Anspieltipps: Naeem; Salem

Local Natives - When Am I Gonna Lose You

Sie haben sich verändert. Spätestens auf "Sunlit Youth" haben es die Local Natives selbst bestätigt. Vorbei sind die Stunden, in denen ihre Lieder viel Aufmerksamkeit und Hingabe dem Hörer abverlangten. Sie sind geradliniger und poppiger geworden. Die Kanten und Ecken in ihren Stücken haben sich abgestoßen. Aber man hört trotzdem noch gerne hin. "When Am I Gonna Lose You" auf dem Album "Violet Street" ist der Beweis dafür. Es erinnert an "Dark Days" des Vorgängers und hat wenig  mit den Ursprüngen zu tun. Und dennoch versprüht es den typischen Local Natives-Charme, der jetzt mit einer neuen Leichtigkeit daherkommt. Allein deswegen ist das Lied schon ein Hit für die Indiedisco.

Weitere Anspieltipps: Cafe Amarillo, Tap Dancer

American Football - Uncomfortably Numb (feat. Hayley Williams)

American Football geben auf ihrer "LP3" insgesamt acht Tracks Raum. Diese breiten sich aus, durchfluten die Hörgänge und das eigene Gemüt. Was sich auf der Platte abspielt, ist ein Vergnügen für verregnete Tage. Tipp: Album auflegen, Schuhe anziehen, Regenjacke umlegen und durchs Unterholz streifen. Spätestens bei "Uncomfortably Numb" bereut man es nicht. Das Lied ist so wärmend und textlich düster zugleich, dass die Bäume ringsum als perfekter Kontrast dienen. Diese sanfte Emo-Hymne wird durch das wunderbare Duett von Sänger Mike Kinsella und Hayley Williams getragen. So schön kann Scheitern klingen.

Weitere Anspieltipps: Every Wave To Ever Rise (feat. Elizabeth Powell)

Stella Donnelly - Old Man

Bräuchte Feminismus noch eine Hymne, dann wäre sie 2019 gefunden. In "Old Man" skizziert Stella Donnelly das Schicksal von Frauen und ihren untreuen Männern ohne dabei Mitleid erhaschen zu wollen. Im Gegenteil. Donnelly gibt sich textlich selbstbewusst und teilt verbal ordentlich aus. Eine längst überfällige Maßnahmen, die in klangliche Strukturen gegossen mit ihren Folkpop-Elementen leichten Schrittes in die Jahresplaylist wandert. Generell beweist die Australierin auf dem dazugehörigen Album "Beware Of The Dogs" eine feine lyrische Klinge für wichtige Themen unserer Zeit.

Sam Fender - Will We Talk?

Oh, boy. Was war das für ein Hype, den der junge Engländer mit seinen Releases in den vergangenen zwei Jahren auslöste? Heuer folgte schließlich mit "Hypersonic Missiles" das Debütalbum dazu. Darauf klingt er stark nach dem jungen Bruce Springsteen. Oder nach The Gaslight Anthem, wenn sie musikalisch nicht einmal (oder zweimal) zu viel abgebogen wären. "Will We Talk?" lässt einen nach dem ersten Hördurchgang wieder einmal die Australier Gang Of Youths abspielen. Ein Ritterschlag. Es ist ein treibender Song, der den Sommer hereinbittet. Dabei umreißt er doch die Schwere der heutigen Jugend. Dieses zwischen textlicher Dramatik und straffen Songmustern mäandernde Pingpong findet sich in allen Tracks des Albums wieder. Eine Ambivalenz, die gefällt.

Weitere Anspieltipps: Dead Boys; Saturday