Ein Silvesterabend an der Wiener Staatsoper ohne „Fledermaus“? Wegen Corona? Kommt nicht in Frage! Das Meisterwerk von Johann Strauß wird es auch in diesem Jahr im traditionsreichen Haus am Ring geben. Gerade wegen Corona! Darin waren sich Opernchef Bogdan Roščić und der ORF einig. Und so wird die „Fledermaus“ in diesem Jahr zwar ohne Saalpublikum über die Bühne gehen, dafür aber für abertausende Zuschauer über die Bildschirme von ORFIII. Meister Cornelius Meister dirigiert. Ein Interview mit ihm.

Just den Fledermäusen verdanken wir ja – wer’s glaubt – die schreckliche Pandemie. Man darf wetten: Anspielungen darauf wird es in dieser ganz besonderen Aufführung der „Fledermaus“ gewiss geben?
CORNELIUS MEISTER: Bereits im Originallibretto gibt es ja den schönen Satz: „Holde, hier vor allen, lass die Maske endlich fallen.“ Eisenstein will damit hinter das Geheimnis der „ungarischen Gräfin“ kommen, die in Wahrheit seine Frau ist und behauptet, wegen eines Wimmerls auf der Nase die Maske nicht abnehmen zu können. In diesen Zeiten aber bekommt der Satz „Lass die Maske endlich fallen“ eine zusätzliche Komik.

Was bedeutet Ihnen dieses Werk persönlich?
Ich habe es tief ins Herz geschlossen. Nicht nur, seit ich es seit 2017/18 an der Staatsoper dirigiere, sondern auch, weil ich für die Erstaufführung an der Mailänder Scala verantwortlich war. Kaum zu glauben, wie lange die Mailänder gebraucht haben, um die „Fledermaus“ endlich in ihr Repertoire zu nehmen. Dieses Dirigat war für mich ein sehr bewegender Moment.

Peter Simonischek gibt den "Frosch"
Peter Simonischek gibt den "Frosch" © ORF

Und vorher?
Meine eigene Premiere mit der „Fledermaus“ hatte ich vor knapp zwanzig Jahren in Erfurt, wo ich als Assistent angefangen habe. Der Sprung ins kalte Wasser mit zwei kompletten Aufführungen. Das war ohne Frage ein besonderer Prüfstein, denn diese Operette ist ja ganz hohe Kunst. In meiner Zeit als Kapellmeister in Hannover, zwischen 2003 und 2005, bin ich dann sogar bei der Premiere für den erkrankten Dirigenten eingesprungen. Ich denke, das war ein echter Grundstein für mein weiteres Leben. Eines muss ich aber gestehen: die „Fledermaus“ hat mir außerhalb Wiens und ohne die Philharmoniker immer ein größeres Maß an Arbeit abgefordert. Hier aber ist es pure Freude.

Verlangt die diesjährige Vorstellung zu Silvester, ob der besonderen Umstände, diverse Änderungen?
Nein, denn wir werden alle regelmäßig getestet. Deshalb sind auch Abstandsregeln nicht nötig. Für den dramatischen Fluss folgen bei gewissen Übergängen, wenn normalerweise Zwischenapplaus zu erwarten wäre, die Anschlüsse gleich. Spontaneität und Flexibilität sind uns nach wie vor besonders wichtig, denn wir haben ein Team, das „brennt“. Das macht vieles möglich. Dass Direktor Roščić mit dem ORF eine Live-Übertragung im Fernsehen vereinbart hat, macht uns sehr glücklich, ein Jahreswechsel an der Wiener Staatsoper ohne „Fledermaus“ wäre ja einfach undenkbar gewesen. Denn dieses Werk ist nicht nur Melancholie und Intimität, sondern auch Hoffnung und Weitblick, etwas, das die Musik von Johann Strauß ausmacht, und gerade die „Fledermaus“. Deshalb gehört sie für mich ganz tief zum Jahreswechsel, besonders zum jetzigen.

Sollte man als Dirigent der „Fledermaus“ idealerweise Wiener sein?
Bitte, in mir rauscht Wiener Blut. Denn meine Großmutter Ada (mit vollem Namen Adelheid Maria-Theresia Henriette Valentine) war zeitlebens eine waschechte Wienerin. 1897 in der Mariahilferstraße geboren, wurde sie 98 Jahre alt. Bis ins hohe Alter hat sie mir oft und gern von der k.u.k.-Zeit erzählt.

Konnte sie auch singen?
Natürlich. Am liebsten Schnadahüpfl. Und bei der Zweiten Ungarischen Rhapsodie von Liszt hat sie auf der Couch auch mit über 90 immer fröhlich mitgewippt.

Zwischen 2010 und 2018 waren Sie Chefdirigent und künstlerischer Leiter des RSO in Wien. Gibt es an diese Zeit noch eine besondere Erinnerung?
Ja. Als ich 2018 nach Stuttgart übersiedelte, habe ich überlegt, ob ich mein Fahrrad mitnehmen sollte. Ich habe es hier gelassen, weil ich wusste, dass ich wiederkommen würde, und es gibt mir das Gefühl, nicht als Fremder zurückzukommen.

Sind Sie in Wien zum „Schmähbruder“ geworden?
Sagen wir so: Für mich ist es nur möglich, Johann Strauß zu dirigieren, wenn ich diese Kultur verinnerlicht habe. Von der Kaffeehauskultur bis zur persönlichen Art, miteinander umzugehen. Die Tradition, die man hier an jeder Ecke spürt, ist für mich beim Dirigieren einfach notwendig, um dieses Lebensgefühl wiederzugeben.

Sie pendeln momentan zwischen Wien und Paris, wo Sie für die „Zauberflöte“ engagiert sind. Wird es dort zu Aufführungen vor Publikum kommen?
Die momentanen Restriktionen gelten zunächst bis 7. Jänner. Wir lassen jedenfalls den Kopf nicht hängen und sind in jeder Beziehung voll solidarisch. Ich persönlich dirigiere ja auch regelmäßig an der New Yorker Met. Das musste heuer abgesagt werden, dadurch wurde aber überraschenderweise manches Andere möglich. Im Juni und Juli spielten wir in Stuttgart zum Beispiel Beethovens Symphonien ganz, ganz oft. Außer der Neunten, weil kein Chor auftreten durfte. In den Konzertsaal durften nur 99 Zuschauer, aber wir traten dann einfach um 11, 13, 19 und 21 Uhr auf, weil wir den Menschen die Möglichkeit geben wollten, ins Konzert zu gehen, statt deprimiert zu Hause zu sitzen. Alle, die Kultur brauchten, sollten sie bekommen. So habe ich in diesem Jahr eigentlich nicht weniger, sondern mehr gearbeitet. Das ging teilweise bis zur Belastungsgrenze.

Wenn man den Scherz strapazieren darf: Wie fühlt man sich, wenn man Meister Meister genannt werden kann?
Wenn ich in Italien dirigiere, ist es etwas Anderes als das „Maestro Meister“, was die Leute dort schmunzeln lässt, nämlich mein Vorname. Dass einer aus dem Norden einen lateinischen Vornamen trägt, bedeutet für sie, dass die römisch-lateinische Vergangenheit auch außerhalb ihres Landes geschätzt wird. Davon sind sie liebevoll überrascht und fühlen sich geschmeichelt. Ich selber höre aber auf alles – solange ich merke, dass i c h damit gemeint bin. Dazu fällt mir auch noch etwas Anekdotisches ein.

Nämlich?
Als ich heuer in Frankreich dirigierte, musste ich natürlich auch zu Corona-Tests. Als ich im Labor ankam, merkte ich, dass das Personal etwas enttäuscht war. Denn sie hatten, wohl wegen eines Übersetzungsfehlers, geglaubt, der Bürgermeister würde kommen, und nicht bloß der Meister.

Wann darf man Sie wieder in Wien erwarten?
Für eine „Lohengrin“-Serie im Juni.

Wieder vor Publikum?
Bis dahin ist ja noch ein bisschen Zeit. Also seien wir optimistisch.

Wie wichtig ist Musik, besonders jetzt, für die Gesundheit der Menschen?
Das Leben ist etwas Ganzheitliches, wir sind Körper und Seele. Für den Körper gibt es herausragende Mediziner. Wir Kulturschaffenden hingegen bemühen uns, die seelische Gesundheit der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Und da ist die Musik glücklicherweise eine hervorragende Medizin. Sie ist eben nicht nur eine „hübsche Zuwaage“ – das sagte schon Nikolaus Harnoncourt –, sondern eine echte gesellschaftliche Aufgabe. Deshalb arbeiten wir alle so hart. Und so gerne.