Nach sieben Jahren ist sie zurück in Wien: Peter Konwitschnys Inszenierung der französischen Erstfassung von Giuseppe Verdis "Don Carlos". Die Staatsoper zeigte die mit Abstand umfangreichste aller Verdi-Opern von 2004 bis 2013 überhaupt zum ersten Mal in ihrer Geschichte in dieser Konwitschny-Inszenierung. Die Regiearbeit ist immer noch ein wahres Glanzstück und eine Bereicherung fürs Staatsopern-Repertoire.

Hubeaux, Kaufmann und Pertusi bei der Pantomime zur Ballettmusik. Die sorgte wieder einmal für Buh- und Bravorufe.
Hubeaux, Kaufmann und Pertusi bei der Pantomime zur Ballettmusik. Die sorgte wieder einmal für Buh- und Bravorufe. © (c) Michael Poehn

Peter Konwitschny setzt einerseits auf den kammerspielartigen Charakter der Oper. Dasss der Regisseur vor allem bei der italienischen Oper auf Reduktion statt auf die "Ideenvielfalt" und die Referenzhölle des Regietheaters setzt, hatte sich ja schon in den Neunziger Jahren angekündigt. Mit seinen intimen Arrangements trifft Konwitschny die klandestine Atmosphäre am spanischen Hof punktgenau. Da wird intrigiert, gehasst und geliebt, in Macht- und Beziehungsspielen, denen alle Figuren zum Opfer fallen. Macht korrumpiert und zerstört. Zuerst die Untertanen und dann die Herrscher. Nur das (Apfel-)Bäumchen, das der als Mönch getarnte Altkaiser Karl V. am Beginn an den Bühnenrand pflanzt, zeigt, dass noch nicht alles verloren ist. Konwitschny bleibt ja bei aller Skepsis gegenüber der Macht ein wahrer Menschenfreund: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Oder, wie in diesem Fall, gar nicht.

Obwohl die Inszenierung in manchen Momenten immer noch handwerklich ungeschickt wirkt, ist es eine feinfühlige und ideenreiche Arbeit, die den Wahnsinn und die ganze Brutalität der Handlung eindringlich herausarbeitet.  Konwitschny gibt immer wieder den Blick auf das Seelenleben frei, demaskiert die Rituale der Macht als zynische Muster der Zerstörung.

Die Sitcom-Einlage zur Ballettmusik sorgt auch bei der mittlerweile 34. Aufführung für Buhgeschrei. Völlig zu Unrecht. Die von Verdi eingefügte Ballettmusik hat keinerlei Funktion für das Drama, sondern ist nur ein Zugeständnis an die Pariser Opernkonventionen Mitte des 19. Jahrhunderts. Konwitschnys Kniff, diesen eher 15 Minuten noch eine Bedeutung zu geben, indem er sie in Ebolis Spießertraum vom schönen Leben verwandelt, ist eher bewunderungswürdig. Aber in Wien kühlt sich so mancher Opernfreund noch immer sein Mütchen an derlei Dingen. Das war im April 2013, bei der 33. Aufführung so, und ist auch bei der Wiederaufnahme nicht anders. Und auch im Jahr 2030 wird es hier noch Buhrufe geben. Vorausgesetzt man ist so klug, diese Produktion immer wieder auf den Spielplan zu setzen.

Um die Schrecken des Autodafé zu illustrieren, nutzte Konwitschny das ganze Haus, die nun erarbeitete coronataugliche Schrumpfvariante überzeugt naturgemäß weniger. Die Saaldiener sind in Coronazeiten etwas zurückhaltender beim Abwurf der Flugzettel (diese zeigen etwa Erschießungsszenen und der Staatsoper in Trümmern: merke: die Barbarei hat 1000 Gesichter)

Konkurrenz für den Tenorissimo

Dirigent Bertrand de Billy steht bei seiner Rückkehr an die Staatsoper ein Spitzenensemble zur Verfügung. (Das war bei "Don Carlos" wahrlich nicht immer so.) Spektakulär die Besetzung der Hauptpartie mit Jonas Kaufmann. Trotz einiger Spitzentöne, die nicht wirklich in die Linie eingearbeitet sind und gelegentlicher gaumiger, wie nach hinten in die Kehle verrutschter Klänge überzeugt der Star mit seinem bekanntermaßen glanzvollen, baritonal gefärbten Tenor im Lauf des Abends immer mehr: Absolut grandios gerät ihm der intensive Ausbruch nach dem Tod von Freund Posa.

Dieser Marquis Posa wird durch Igor Golovatenko zur heimlichen Hauptfigur, das moralische Zentrum der Oper verwandelt sich auch in deren musikalisches. Man hört wunderbare Phrasierungen und Höhen einer im Grunde lyrischen Stimme, die aber auch hohe dramatische Qualitäten verfügt. Ebenso auf dem Niveau bewegt sich die Eboli von Eve-Maud Hubeaux. Ein leichter, flexibler Mezzo, der hörbar auch an der Barockmusik geschult ist und den Hubeaux brillant, mit gezielter Dramatik einsetzt. Sowohl die Arie im 4. Akt als auch das Schleierlied im 2. Akt sind Höhepunkte des Abends.

Stark, aber in der imposanten tiefen Lage eher daheim als in den bisweilen angestrengten Spitzen: Malin Byström mit charaktervollem  Sopran als Elisabeth. Michele Pertusi singt einen sehr guten Philippe, doch das Besondere fehlt hier nicht nur der großen Bekenntnis-Arie. Das ist Solidität auf Weltniveau. Der schwarze Bass von Roberto Scandiuzzi verströmt als Großinquisitor mehr Autorität als Pertusi. Auch die kleineren Partien sind glänzend besetzt: Dan Paul Dumitrescu ist ein anrührender, stimmlich tadelloser Mönch, Virginie Verrez singt den Thibault schlank, doch mit bis ans Tremolo reichenden Vibrato, Robert Bartneck ist ein exzellener Comprimario (als Herold und Lerma)