"Offen" – in meterhoher, roter Leuchtschrift prangt die Botschaft vom Haus am Opernring. Der vom Grazer Designer Alexander Kada gestaltete Schriftzug lässt keine Zweifel: Die Wiener Staatsoper ist offen, trotz Corona. Die Direktionszeit von Bogdan Roscic beginnt mit Sicherheitsabstand, Ausweiskontrolle und Maske und mit der Bitte, auf Bravos und Buhs zu verzichten. Wegen der Aerosole. Doch Rituale, die längst in die DNA der Oper eingewoben sind, lassen sich nicht per Verordnung von heute auf morgen abschaffen. Asmik Grigorians Vorstellung als Giacomo Puccinis vom Schicksal und von der Männerwelt gequälter Madama Butterfly provozierte dutzendfache Bravos.
Grigorian, deren Stern mit ihrer Salome bei den Salzburger Festspielen 2018 effektvoll aufging, ist eine Sing-Darstellerin ersten Ranges. Ihre „Madama Butterfly“ ist keine zerbrechliche 15-Jährige, kein naives Mädchen, dessen Träume vom Trampel Pinkerton ruiniert werden, sondern eine Wissende. Sie hat schon genug gesehen von der Welt, um zu ahnen, dass diesem amerikanischen Eheglück nicht zu trauen ist. Grigorian klingt schon im ersten Akt nach einer tragisch verschatteten Seele, die Schüchternheit und Unschuld vorzuspielen hat, weil das die Rolle ist, die ihr von der Gesellschaft zugewiesen wurde. Für eine, die sogar zur Abtrünnigen, zur Verräterin wird, weil sie sich vom Ahnenglauben abwendet.

Es ist erstaunlich, wie die Figur der „Butterfly“, dieses Elaborat aus Kitsch, erotischen Klischees, exotischen Gemeinplätzen und Männerfantasien von 1900 von solchen Interpretinnen wie Grigorian als Mensch beglaubigt werden kann. Grigorian bietet strahlende, unangestrengt wirkende Dramatik, wenn sie – auf verlorenem Posten - um ihre allerletzte Chance aufs Glück kämpft. Die litauische Sopranistin verschmilzt am Premierenabend auf beeindruckende Weise mit ihrer Partie.

Der dritte Akt wirkt wie ein Solomelodram, bei dem Grigorian ihre Bühnenpartner förmlich zu Stichwortgebern degradiert. Dabei ist das Ensemble hervorragend: Freddie De Tommaso beginnt etwas grob und uncharmant, hat aber ein bezwingendes Forte und eine nicht weniger faszinierende Höhe. Das Piano klingt bisweilen dagegen fahl. Boris Pinkhasovich singt einen formidablen Sharpless mit fokussiertem, schön klingendem Bariton. Die nicht allzu sinnlich singende Virginie Verrez orgelt die Suzuki nicht, sondern gibt der Dienerin einen schlanken Mezzo. Und Andrea Giovannini ist ein exzellenter Goro. Leider hört man die fantastischen Sänger vom Parkett aus nicht immer ideal: Philippe Jordan am Pult des Staatsopernorchesters macht sich bei seiner ersten Premiere als Musikdirektor bemerkbar. Er schwelgt in den Farben der Partitur, sorgt für viel Innenspannung, aber manches wirkt zu dick aufgetragen und einfach zu laut.

Dick aufgetragen ist auch die Regie des 2008 verstorbenen Filmregisseurs Anthony Minghella, gerade weil sie so reduziert tut und daraus keine Tugend macht, sondern eine Attitüde: Die vor eineinhalb Jahrzehnten entstandene Inszenierung arbeitet mit Lichtstimmungen, einem großen Spiegel, einem Minimum an Dekor und dafür mit opulenten, bisweilen grellen Kostümen. Die von Carolyn Choa einstudierte Arbeit ist hochästhetisch (vor allem im Fernsehen mit den Großaufnahmen), erinnert aber in der Bühnenrealität zuweilen ans Stehtheater, hier in ritualisierter japanischer Form. Minghella formte spezielle Stimmungen und Effekte, die einmal glänzend gelingen (wie mit den japanischen Bunraku-Puppen oder im Schlussbild) und einmal komplett danebengehen (wie das abgeschmackte Bild mit den vom Bühnenhimmel regnenden Blütenblättern). Als Tableau für Grigorians Künste funktioniert die Inszenierung aber prächtig.