Vor acht Wochen noch, als nach und nach selbst große Festivals die Segel strichen, prophezeiten wir, man müsse kein Pessimist sein, um wegen Corona auch die letzten Dominosteine wie die Salzburger Festspiele fallen zu sehen.
Gestern meldete sich der Dominostein zurück, mit einem umgebauten Programm, das deutlich üppiger ausfällt als erwartet. Zwei Opern, drei Theaterproduktionen und insgesamt 110 Vorstellungen bietet man von 1. bis 30. August auf.
„Wir wissen, es ist ein Gang auf dünnem Eis“, sagte Markus Hinterhäuser laut APA bei der Pressekonferenz im Hinblick auf die Pandemie. „Aber die Sehnsucht nach Aufführungen ist übergroß geworden, auch die Freude darüber.“ Er habe versucht, so viele wie möglich vom eigentlichen Programm zur 100-Jahr-Feier des Festivals nach Salzburg zu bringen. Sowohl im Schauspiel als auch in der Oper würden die Produktionen, die heuer ausfallen, im 2021 nachgeholt, ergänzte Helga Rabl-Stadler, die ja, wie berichtet, noch ein Jahr als Präsidentin anhängt.
Die große Überraschung ist die nicht vorgesehen gewesene Neuproduktion von Mozarts „Così fan tutte“. Die Idee zu dem bei Probenzeit und Ausstattung „sehr reduziertem“ Projekt sei laut Hinterhäuser spontan entstanden. Shootingstar Joana Mallwitz, die heuer eigentlich die „Zauberflöte“ hätte dirigieren sollen, wird die Wiener Philharmoniker leiten. Damit gibt die 34-jährige Deutsche, Generalmusikdirektorin am Staatstheater Nürnberg, nicht nur ihr Festspieldebüt, sondern wird auch die erste Frau überhaupt sein, die bei den Festspielen eine Oper dirigiert.
Aus dem Opernprogramm habe man zudem die „Elektra“ von Richard Strauss retten können, weil es ein Stück mit überschaubarer Dauer und kleinem Personaleinsatz sei, das ohne Pause aufgeführt werden könne, begründete Hinterhäuser.
Bei den 53 Konzerten wird auch im reduzierten Festspielsommer aufgeboten, was Rang und Namen hat: große Stimmen von Anna Netrebko über Cecilia Bartoli bis hin zu Juan Diego Flórez, von Daniel Barenboim (am Klavier und am Pult) bis zum Meisterpianisten Igor Levit (mit dem kompletten Beethoven-Sonatenzyklus), von den Berliner Philharmonikern (mit Kirill Petrenko am Pult und Daniil Trifonov am Flügel) bis zum Klangforum Wien (für „in vain“ von Georg Friedrich Haas)....
.
Die beiden Uraufführung im Schauspiel finden wie geplant statt. Zum einen „Zdeněk Adamec“, Peter Handkes fiktives Psychogramm eines jungen Tschechen, der sich 2003 als 18-Jähriger in Prag öffentlich verbrannte. Zum anderen „Everywoman“ von Milo Rau und Ursina Lardi, ein Solostück über Eliten und Ausgebeutete. Und natürlich wird wieder Hofmannsthals „Jedermann“ auf dem Domplatz gezeigt, gleich 14 Mal, darunter am 22. August – exakt der Tag, an dem Max Reinhardt „Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ vor 100 Jahren erstmals auf den Domplatz brachte.
Das Präventionskonzept der Festspiele sieht – abgesehen während der Aufführungen – eine grundsätzliche Maskenpflicht vor. Beim Zutritt wird es eine Publikumslenkung analog zum Boarding auf Flughäfen geben, zudem werden die Plätze grundsätzlich im Schachbrett-Muster belegt. Für heuer werden nur 80.000 statt der geplanten 230.000 Karten aufgelegt. Das Budget 2020 wird statt der 68,8 Millionen nun höchstens 41,6 Millionen Euro ausmachen.
Kommentar
Von Hoffnung und Willen
Wochenlang stand auf der Homepage der Salzburger Festspiele der Mutmacherspruch ihres Gründers Hugo von Hofmannsthal: „Wo der Wille nur erwacht, dort ist schon fast etwas erreicht.“ Seit gestern begrüßen auf der Startseite kurze Videoclips, darunter einer von einem Spalier schöner Geigen.
Voller Geigen ist der Himmel natürlich nicht in Salzburg. Aber was man trotz Corona in kürzester Zeit auf die Beine gestellt hat, kann sich mehr als sehen und hören lassen. Welche Logistik das völlige Umkrempeln des üppigen Jubiläumsprogramms mit ursprünglich 222 Vorstellungen und allein die Rückabwicklung 180.000 bereits verkaufter Karten erfordert, mag man sich gar nicht ausdenken – auch ein Beweis der „Weltkunstzentrale auf österreichischem Boden“, die sich Gründerväter des Festivals einst erträumten.
Trotz der Geißel der Pandemie und der daraus folgenden Herkulesaufgaben hat das Team um die Optimismusweltmeisterin Helga Rabl-Stadler und den nimmermüden Möglichmacher Markus Hinterhäuser die Hoffnung nie aufgegeben, den 100er würdig begehen zu können, ganz im Sinne von Václav Havel: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal, wie es ausgeht.“