Sie werden ab 2. Oktober Benjamin Brittens Shakespeare-Vertonung "A Midsummer Night's Dream" dirigieren. Die Oper wurde 1960 uraufgeführt, was ist denn das Besondere an Britten?
Simone Young: Seine Verbindung zum Text ist sehr stark. Er hat eine eigene harmonische Sprache, die kaum zu verkennen ist. Sie wurzelt stark in den 30er-Jahren, man hört Verbindungen zu Schostakowitsch. In Midsummer Night's Dream schaut er eher zurück, macht eine Reverenz an Purcell, der ja der erste war, der den Stoff vertont hat. Britten schrieb sogar „in purcellian art“ in die Partitur, ein Begriff, den er erfunden hat. Aber Midsummer Night's Dream funktioniert auch ohne großes Vorwissen, als Theaterabend.

Sie kommen aus Australien, wie kommt man da zur Klassik?
Ja, das Wahrzeichen des Landes ist immerhin ein Opernhaus -und ein Känguruh. Es ist ein Einwandererland, jede Gruppe hat ihre Traditionen mitgebracht. Die Australier übernahmen das britische Bildungssystem, inklusive der Schulmusik. Damals waren die Dirigenten Richard Bonynge und Charles Mackerrastätig in Australien. Meine erste aktive Opererfahrung, war bei Mackerras in Midsummer Night's Dream, wo ich das Cembalo im Orchester gespielt habe.

War der Weg nach Europa dennoch vorprogrammiert?
Ich hatte damals schon eine Vorliebe für Wagner und Strauss, für die Lieder von Schubert, Schumann, Wolf. Viele Australier gehen ja nach England, für mich war es wichtig, nach Deutschland zu gehen, weil mir die Sprache auch so wichtig war.

Sie haben bei Daniel Barenboim assistiert, was kann man da lernen?
Ich war vier Sommer seine Assistentin in Bayreuth und zwei Jahre auch in Berlin, da habe ich das große Fach erarbeitet, in Berlin konnte ich schon die großen Wagner-und Strauss-Werke dirigieren. Da bin ich schon früh an ein Repertoire gekommen, das in dem Alter nicht selbstverständlich ist. Ich finde es spannend, dass Barenboims Musizieren sehr stark mit dem Text verbunden ist.

Was ist für Sie wichtig, an die nächste Generation weiterzugeben?
Ich gebe keinen klassischen Unterricht, ich bin nicht dafür gemacht, in einem Zimmer vor Studenten einen Vortrag zu halten. Ich habe aber immer Assistenten, mit denen ich eng kooperiere. Wobei es mir sehr wichtig ist, dass diese Dinge hinterfragen. Ich will niemanden, der mich imitiert. Und kein Assistent darf länger als drei Jahre bei mir sein, dann müssen die flügge werden.

Sie waren in Hamburg lange auch Intendantin. Ist das nicht eine enorme Doppelbelastung?
Ja, schon. Aber als Musikdirektor hat ein Dirigent am Theater selten die Kontrolle über alle künstlerischen Belange. Die Entscheidungen fällen die Intendanten. Als solche fand ich es spannend, Leading Teams zusammenzustellen, ein Ensemble aufzubauen und zu entwickleln. Ich habe aber schon bei der letzten Vertragsverlängerung in Hamburg gesagt, dass danach Schluss ist. Nach 10 Jahren braucht eine Stadt, ein Haus und der Künstler selbst neue Impulse.

Und jetzt genießen Sie ihre Freiheit als freischaffende Dirigentin?
Es ist eine riesige Befreiung, nur mehr die Verantwortung für die Musik zu haben. Ich dirigiere jetzt auch viel mehr Konzerte als früher. Aber weil ich einige Erfahrung als Intendantin habe, werde ich bei Projekten auch stärker in die Entscheidungen eingebunden.

Würde Sie nicht noch einmal einesolche Generalverantwortung reizen?
Das überlasse ich meinen jüngeren Kollegen. Ein Symphonieorchester vielleicht schon, momentan sag ich aber noch häufig nein.Aber jetzt habe ich ein so privilegiertes Leben als Dirigentin in Wien, München, Zürich und Berlin und Konzerte in der ganzen Welt.

Sie sind ja Spezialistin für schwere Stücke.
Ich brauche die Herausforderung. Entweder die intellektuelle Herausforderung durch eine moderne Partitur, oder auch eine emotionale Herausforderung. Man muss immer etwas Neues entdecken und darf man sich nicht damit zufrieden geben, mit dem was man bisher gemacht hat.

Gibt es eigentlich Interviews, in denen sie nicht danach gefragt werden, wie es denn als Frau in diesem Männerdominierten Beruf ist?
Manchmal, aber selten (lacht).

Und langsam setzen sich ja Frauen auch durch: Joana Mallwitz ist gerade zur Dirigentin des Jahres gewählt worden.
Ich war in den 90ern ziemlich einsam in dem Beruf, aber es normalisiert sich so langsam. Joana Mallwitz, die stetig durch hohe Qualität ihre Position befestigt, ist der beste Beleg für eine positive Entwicklung.