"Don Carlo" in Graz: Probenfoto vom Autodafé.
"Don Carlo" in Graz: Probenfoto vom Autodafé. © Werner Kmetitsch

"Don Carlo" ist wie andere Opern Verdis davon geprägt, dass Politisches, Persönliches und Psychologisches eng verknüpft sind. Wie gehen Sie mit diesem Doppelcharakter um?
Jetske Mijnssen: Das ist die Herausforderung. Es gibt ein Liebesdrama, ein Vater-Sohn-Drama, den politischen und religiösen Konflikt zwischen Spanien und den Niederlanden. Man darf keine der Ebenen vernachlässigen, aber ich lege den Schwerpunkt als Regisseurin immer auf die persönlichen Beziehungen der Figuren untereinander. Ich interessiere mich für die Psychologie, den Schmerz und die Einsamkeit der Figuren. Wir zeigen die "Grand opéra" als Kammerspiel.

Verdi gilt ja vielleicht als der größte Psychologe der Oper.
Ja, die Schilderung der inneren Schmerzen ist klar und beeindruckend. Verdi „füttert" mich als Regisseurin gewissermaßen damit. Jede Szene nach der Pause führt in die Innenwelt einer der Figuren. Die psychologische Zeichnung ist so detailreich, wie man das sonst vom Sprechtheater kennt.

Hätte Sie die fünfaktige Fassung interessiert?
Nein, die vieraktige Fassung ist viel fokussierter, man kann das Klaustrophobische besser herausarbeiten.

Halten Sie Opernregie heute für zu „verkopft"?
Ich finde das intellektuelle Regietheater sehr spannend und interessiere mich auch dafür, aber ich komme aus einer anderen Schule. Ich verbinde mich über die Emotion mit dem Stück. Und ich versuche, den Abend aus dem Herz und Seelenleben der Figuren herauszuarbeiten, weniger über Konzepte. Ich versuche, die menschlichen Abgründe zu zeigen.

Da gibt es bei Verdi genug. Trotz ihrer unendlichen Schönheit und Pracht sind seine Stücke fast alle melancholisch.
Ja, die Figuren aus "Don Carlo" sind alle melancholisch. Carlos erste Arie ist gewissermaßen schon die Ankündigung eines Selbstmordes. Das ist wirklich extrem, eine Figur zu zeigen, die bereits am Anfang zerstört ist.

Und es ist die Macht, die Politik, die diese Personen zerstört?
Das ist einer der Gründe, warum man "Don Carlo" nicht in der Gegenwart spielen lassen kann. Diese höfische Welt mit ihren Zwängen, diese Verpflichtungen gegenüber dem Staat, die bis zur Opferung des eigenen Sohns reichen, sind an eine historische Situation geknüpft.

Wie nähern Sie sich in Ihrer Arbeit dem jeweiligen Stück?
Das geht immer über die Musik. Und es geht darum, die Emotion aufs Publikum zu übertragen. Beim "Don Carlo" gibt es das Autodafé, wo alle um Gnade bitten, und der König verweigert das. Ich denke, dass die Szene den inneren Kampf des Königs darstellt. Welcher Mensch kann damit umgehen, dass er andere foltern lässt? Das muss ihn selbst angreifen und zerstören. Und es kann Monate dauern, bis man so etwas bei der Arbeit erkennt und versteht.
Sie inszenieren derzeit viele Barockopern und auch Mozart, ist das eine besondere Vorliebe?
Nein, das passiert einem eher. Aber ich glaube schon, dass ich das gut kann (lacht). Und ich mache es schon gern. Ich war früher aufs Kindertheater festgelegt, jetzt ist es ein bisschen das Barock. Man darf sich aber nicht auf eine Epoche beschränken, das ist ungesund. Und ich mache auch demnächst wieder sehr verschiedene Sachen.

Was ist an der Barockoper so interessant?
Die Verspieltheit, dass man mit den Sängern szenisch gut arbeiten kann, weil der Gesang nicht so anstrengend ist. Und diese Götterwelt ist spannend, wenn man sie als innere Welt versteht. Die Götter sind Spiegelungen unserer Ängste usw.

Infos zu "Don Carlo" finden Sie hier.